Die Wirtschaft hacken

Das System von innen verändern? Ganz schnell wird Mensch bei diesem Vorhaben zum grünen Kapitalisten. Nicht so Uwe Lübbermann, der mit seinem Unternehmen „Premium“ nicht nur Getränke verkauft, sondern auch Ökonomen weltweit zum staunen bringt.

Wirtschaftliche Wachstumszwänge sind in aller Munde als ein Hauptfaktor für Ressourcenverschwendung und die Ausbeutung von Mensch und Natur. Systemabhängigkeiten und Zinsdruck scheinen es unmöglich zu machen, unternehmerisch tätig zu sein, ohne die Ellenbogen auszufahren, auf seinen eigenen Vorteil zu pochen und möglichst schnell große Marktanteile in zu erreichen. Doch es geht auch „Premium“ – mit allen Partner*innen auf Augenhöhe, und langsam. 10 Hacks, die nicht nur Unternehmen verändern, sondern Auswirkungen auf unsere gesamte Gesellschaft haben könnten.

Hack #1: Überwinde die Trennung von intern und extern

Kund*innen, Zwischenhändler*innen, Mitarbeiter*innen tragen zum Erfolg deines Unternehmens bei. Sie sind das Netzwerk, das dein Handeln ermöglicht und für das du handelst. Deshalb sorge dafür, dass alle Mitreden können, und schlage dir aus dem Kopf, dass es für dich Vorteile haben könnte, wenn die anderen einen Nachteil haben. Sie sind alle Teil von Dir! Alle Mitreden lassen ist unmöglich? Premium besteht aus 1700 Gewerben und etwa 10.000 Kunden, die über eine Online-Plattform und jährliche Treffen am Konsensverfahren teilhaben können.

Hack #2: Keine schriftlichen Verträge

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Sich auf Augenhöhe begegnen bedeutet auch, gehen zu können wann man mag oder andere Gegebenheiten dazu Anlass geben. Da Partnerwechsel in der Wirtschaft immer Zeit und Aufwand und damit Kosten bedeuten, ist es natürlich gut, auch ohne schriftliche Verträge lange Beziehungen zu erhalten. Das funktioniert nur mit einem aufrichtig wertschätzenden Umgang. Warum sollten wir da beruflich anders sein, als privat unter Freund*innen?

Hack #3: Gleichwertigkeit und Transparenz

Gleichwertigkeit drückt sich auch im monetären Gehalt aus. Für jeden Arbeitsbereich gibt es Gründe, die einen Mehrverdienst im Gegensatz zu anderen rechtfertigen würden. So ist eben doch alles wieder auf einem Level. Außerdem wird niemand zu seinem*ihren Job gezwungen. Bei Premium sind das 18€ brutto/Std. Auch für den formellen Geschäftsführer. Zuschläge gibt es für Kinder, Behinderungen und wenn ein eigener Arbeitsplatz unterhalten werden muss. Das Gehalt besteht aber nicht nur aus dem finanziellen Auskommen. Auch persönliche Freiheit und Weiterentwicklung sind Gehälter, auf die wir in der „normalen“ Wirtschaft viel zu oft verzichten.

Gleichwertigkeit drückt sich außerdem in Transparenz aus: Wie viel geht pro Flasche an wen? Warum wurden welche Entscheidungen getroffen? Alles online einsehbar.
Um die Gleichwertigkeit zu garantieren hat Premium außerdem den Anti-Mengenrabatt eingeführt: Weil Großhändler im Gegensatz zu kleineren geringere Logistikkosten haben, zahlen sie pro Flasche mehr, um einen Ausgleich zu schaffen.

Hack #4: Alles ist vorläufig

Ein Punkt, den Lübbermann als ausschlaggebend für ein gutes Miteinander nennt, ist die Vorläufigkeit der Beschlüsse. Wenn sich persönlich etwas ändert, Mensch ein Kind bekommen will, krank ist, oder einfach so weniger arbeiten möchte, muss nach neuen Lösungen gesucht werden. Die Abfüllbetriebe arbeiten beispielsweise für Premium günstiger als für andere Marken, weil sie wissen, dass sie unkompliziert neu verhandeln können, wenn sie plötzlich höhere Kosten haben. Sie müssen in Verhandlungen nicht möglichst viel rausschlagen, um sich für die Vertragslaufzeit abzusichern. Dabei ist natürlich Eigenverantwortung gefragt. Doch bei Premium funktioniert das seit 15 Jahren gut. Auch dank:

Hack #5: Langsamkeit

Es war nicht Lübbermanns Ziel, möglichst schnell möglichst viele Getränke zu verkaufen. (Überhaupt hat er eher aus Versehen ein Unternehmen gegründet.) Deshalb wächst Premium quasi anders herum: Wer möchte, dass es Premium in seinem Kiosk zu kaufen gibt, spricht mit dem Inhaber, der mit seinem Händler spricht, und so weiter. Einmal ist Premium sogar zu schnell gewachsen und hätte einen Kredit aufnehmen müssen, um die Abfüllung fürs Folgejahr zu zahlen. Dieser hätte Wachstumszwang durch Zinsrückzahlung bedeutet. Doch der Abfüller schlug vor, den Betrag vorzustrecken. Er hatte das Problem als sein eigenes erkannt, sich selbst als Teil von Premium und umgekehrt.

Hack #6: Keine Werbung

Premium betrachtet Werbung als Belästigung. Bei anderen Getränken zahlen wir etwa 2€ pro Kasten dafür. Die braucht nur, wer wachsen will. Für Premium wäre es ebenso gut, genauso groß zu bleiben wie es ist.

Hack #7: Kein Profit

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Alle Mitarbeiter*innen sollen ihr Auskommen haben. Etwas beiseite zu legen für schlechte Zeiten ist sinnvoll, um ein Fortbestehen zu gewährleisten. Aber mehr würde höhere Kosten für die Kund*innen bedeuten. Warum deren Nachteil zum eigenen Vorteil machen, wenn sie es doch sind, die das Unternehmen tragen.
Bei einer Steuerprüfung überraschte Premium nicht nur sich selbst, sondern auch die Finanzbeamte, die zum ersten Mal in 20 Berufsjahren „keine Beanstandungen“ vermerkte.

Hack #8: Keine Perfektion

Die kapitalistische Wirtschaft pickt Rosinen. Die am besten ausgebildeten werden eingestellt und ein Großteil der Gesellschaft wird von der Teilhabe ausgeschlossen. Allen die Möglichkeit für ein zufriedenes Leben zu geben, ist Uwe Lübbermanns Anspruch an (s)ein Unternehmen. Es macht auch ihn selbst zufrieden.

Hack #9: Geschenke

Wissen und Erfahrung zu verschenken kostet nichts. Wenn du dir eine andere Welt wünschst, gibt es keinen Grund, deine Gedanken zum Bau dieser anderen Welt nicht zu teilen. Lübbermann nennt das „open franchise“. So gibt es mittlerweile eine Limonade, die eigenständig nach dem Premium-Prinzip funktioniert. Lübbermann verbringt viel Zeit damit, dieses in Vorträgen und Workshops zu erklären, wie kürzlich bei der ersten Hamburger Wandelwoche. Mittlerweile ist er auch als Berater tätig. Sogar für ein Ministerium in den arabischen Emiraten.

Hack #10: Konsens

Mit dem Konsensprinzip werden Kontrolle und Verantwortung abgegeben, und auf viele Menschen verteilt, sodass niemand die Last allein zu tragen hat. Auch hierarchische Machtungleichgewichte werden zu Gunsten der Gleichwertigkeit überwunden. In Workshops gibt Lübbermann zur Übung den Grundriss einer Wohnung, mit sechs unterschiedlichen Zimmern, die die Teilnehmenden unter sich aufteilen sollen. Die Zimmer haben alle Vor- und Nachteile, eins hat kein Internet, ein anderes ist sehr klein, eines ist ein Durchgangszimmer. Trotzdem hat noch nie eine Gruppe es nicht geschafft, eine Entscheidung zu treffen, mit der alle zufrieden sind.

Spannend dabei: Nur wenige kommen auf die Idee, die Wohnung zu verändern. Durchbruch, LAN-Kabel, da muss doch was zu machen sein? Darin drückt sich leider aus, wie wenig wir Rahmenbedingungen hinterfragen und sie als veränderbar erkennen.
Vielleicht ein Grund, warum es bisher nicht viele Unternehmen so handhaben wie Premium – sie haben es an Universitäten, in der Schule und in BWL-Kursen nicht anders gelernt. Das ist einer der „Vorschäden“ die Menschen aus dem Konkurrenzsystem mitbringen. Ein anderes ist mangelnder Mut zur Eigenverantwortlichkeit. Doch beides können wir lernen. Nicht nur im Unternehmen, sondern auch privat. Intern – Extern? Da gibt es keinen Unterschied. Wir sind Teil der globalen Gesellschaft, sie ist Teil von uns. Der Nachteil der anderen ist unser eigener Nachteil.

Lübbermann wird oft gefragt, ob das Ganze nicht sehr von ihm als Einzelperson abhängig sei. Anfangs sei das sicher so gewesen. Aber man könne es auch umdrehen: Es braucht nur einen Menschen, ein anderes Miteinander und Wirtschaften anzustoßen.

 

Beitragsbild: CC0, Verne Ho (Unsplash)

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