Die Fair Wear Foundation inspiziert eine indische Textilfabrik
Keine Mindeststandards
Die FWF fordert keine sozialen Mindeststandards. Das Unternehmen Takko ist ebenso Mitglied wie Waschbär, die Level könnten nicht unterschiedlicher sein. Es zählt die Verbesserung. Die soll kontinuierlich und im Dialog mit allen Beteiligten erfolgen. Werden bei einer Inspektion Mängel festgestellt, führt das nicht zur Aberkennung des Siegels. Mit gutem Grund, meint Lisa. „Wenn es um Bestehen oder Durchfallen geht, reagiert das Management defensiv. Es wird eher geschwindelt. Wir machen klar: Wir wollen euch nicht bloßstellen, sondern ehrlich über Probleme reden und Lösungen finden.“
Nähen ist Männerarbeit
Wenige Tage zuvor. Lisa und zwei ihrer indischen Kollegen, die Country Representatives, betreten eine Näherei in Noida, einem Vorort von Neu Delhi. Es ist ein schlichtes, zweistöckiges Haus. Offiziell arbeiten hier 117 Menschen. Tageslicht fällt durch die Fenster. Am Schwarzen Brett hängt der Fair-Wear-Verhaltenskodex. „Freie Wahl der Beschäftigung“, steht da fett gedruckt, „keine Diskriminierung, keine Kinderarbeit, Versammlungsfreiheit, Existenzlöhne, keine exzessiven Überstunden, Sicherheit am Arbeitsplatz, legale Verträge.“
Gesichter und Akten lesen
Lisa wird in der Fabrik ihrerseits misstrauisch beäugt. Es kommt nicht alle Tage vor, dass die Arbeiter von einer weißen Frau inspiziert werden. Auch hemmen die installierten Kameras sie, offen über die Arbeitssituation zu reden oder gar Kritik am Management zu üben. Das Audit-Team muss seine Fragen unverfänglich formulieren, etwa: „Was würdet ihr tun, wenn ein Feuer in der Fabrik ausbricht?“ „Nach draußen rennen“, antworten die Männer einhellig. Offensichtlich fand keine Brandschutzbelehrung statt. Bei heikleren Themen offenbaren Mimik und Gestik mehr als Worte.
Vertrauen braucht Klarheit
Ihre Erkältung hinderte Lisa daran, am abschließenden Meeting in Indien teilzunehmen, aber die gewonnenen Eindrücke stimmen sie positiv. „Die Kollegen haben das toll umgesetzt. Nach anfänglicher Zurückhaltung wurden Arbeiter und Management offener. Es ist eine vertrauensvolle Atmosphäre entstanden.“ Sie runzelt die Stirn. „ Aber das Management wusste nicht wirklich, wie Fair Wear funktioniert. Es fürchtete Aufwand und Kosten der Mitgliedschaft. Wir müssen klarer machen, dass die Fabrik dem Unternehmen gegenüber Forderungen stellen kann, weil wir das Unternehmen danach bewerten, wie gut es die Fabrik unterstützt.“
Wenn die Foundation das schafft, wenn sie ihren Ansatz klarer kommuniziert, sodass auch kleine Unternehmen und Arbeiter Vorteile für sich erkennen, dann hat sie eine Chance, die Textilindustrie zu verändern.
Gastautorin Maria Dittmann ist freie Journalistin aus Dresden und schreibt unregelmäßig für transform.
Beitragsbild: Rajesh_India CC-BY-NC-ND