Castor 2011: Action days into the wood. Wendland, Germany Photoreportage: http://www.rebelarte.info/spip.php?page=tout&id_article=313

Die Polizei von innen kritisiert

Etwas doof finden, ist leicht. Selbst Teil dessen zu sein und es trotzdem doof zu finden, ist schwierig, ja mutig. Wir haben einen Polizisten getroffen, der die Arbeit seiner Kolleginnen und Kollegen ganz öffentlich anprangert.

Über die Gemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten

Warum bilden die Kritischen Polizisten einen Verband innerhalb der Polizei, der sich teilweise explizit gegen die Vorgehensweise der Polizei richtet?

Nach wie vor ist unsere Bundesarbeitsgemeinschaft als anerkannter Berufsverband das einzige Projekt dieser Art auf dem Globus. Unsere Kritik formulieren wir nicht der Kritik wegen oder um Aufmerksamkeit zu erhaschen, sondern um die Arbeit, das Selbstverständnis und das Ansehen der Polizei zu verbessern. Das ist in unserer Satzung nachzulesen, in unseren Positionspapieren und bei allen Aktivitäten zu erkennen. In diesem Sinne mögen Sie es als „teilweise explizit gegen die Vorgehensweise der Polizei“ einordnen.

Es geht aber nicht anders, wenn man nicht den ritualisierten Stellungnahmen der drei großen bundesdeutschen Polizeigewerkschaften und allen 17 Innenministern nacheifern möchte, die – egal was die Kolleginnen und Kollegen bei flächendeckendem Pfeffersprayeinsatz, dem Kölner Silvester-Desaster 2015/16, schlechten Aufklärungsquoten bei Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte und so weiter falsch machen – alles und immer für richtig erachten und sich hinter „ihre“ Polizei stellen.

Unsere Rolle ist nicht, für handwerklich gelungene polizeiliche Tätigkeiten ständig Lobeshymnen auszustoßen.

Wenn jemand sein Auto zum Reifenwechsel in die Werkstatt gegeben hat, gibt es auch keine Artikel, dass es nun wirklich super sei, dass alle Radmuttern fest nachgezogen wurden und sich kein Rad gelöst habe. So sollte es auch bei der Polizei sein, ist es aber nicht.

 

Ihre Arbeit kommt vermutlich nicht überall gut an. Wie viele Anfeindungen muss man sich anhören, wenn man Teil der Kritischen Polizei ist?

Wir sind in den Augen der meisten Beamtinnen und Beamten die geborenen Nestbeschmutzer, Kameradenschweine und werden viel zu häufig zu einer Art „Feindbild“ der offiziellen Polizei gemacht. Das steht im krassen Gegensatz zu den viel zu vielen Kolleginnen und Kollegen, die entweder selbst übergriffig sind und Recht und Gesetze verletzen, Stichwort Polizeigewalt. Oder denjenigen, die solche Übergriffe mittragen, bei denen sie nichts gehört, gesehen oder anderswie wahrgenommen haben wollen und damit selbst rechtswidrig arbeiten. Das Korpsgeistproblem ist immens. Wir hören selten etwas Negatives über uns direkt, vielleicht mal etwas indirekt. Es ist wie immer beim Mobbing: Die betroffene Person erfährt als Letzte davon, wenn überhaupt.

Probleme der Polizei

 

Die Polizei klagt über zu wenig Personal. Sehen Sie das genauso?

Es gibt eine Fülle von sinnlosen, polizeilichen Tätigkeiten und offenem Missbrauch von Polizeikräften. In Berlin brachte die Polizei im ersten Halbjahr 2016 ganze 120.000 Einsatzstunden in der Rigaer Straße zu, schreibt das Neue Deutschland. Im gesamten öffentlichen Nahverkehr hatte die Polizei im Jahr 2015 dagegen zusammengezählt nur 169.000 Einsatzstunden. Nun rechnen Sie bitte alleine diesen ganzen Unfug staatlichen Agierens auf alle 16 Bundesländer weiter hoch.

 

Können Sie uns ein Beispiel für den von Ihnen genannten offenen Missbrauch nennen?

Im Jahr 2015 und weit in das Kalenderjahr 2016 hinein machten tausende Polizeibeamtinnen und -beamte Verwaltungsarbeiten bei den zum großen Teil unkontrolliert ins Land gelassenen Flüchtlingsströmen.

Wir bräuchten Qualität, nicht Quantität!

Und das nicht bloß bei der Terrorbekämpfung, sondern vor allem bei der organisierten Wirtschaftskriminalität aus Vorständen und Aufsichtsräten im Zusammenspiel mit großen Wirtschaftskanzleien und sogar noch Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Ich versichere Ihnen, von weiteren 15.000 Beamtinnen und Beamten würden keine 200 in den Abteilungen zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität landen.

Und losgelöst von dieser Sonderproblematik mit ihren tendenziell rechtsfreien Räumen für Wirtschafts- und Finanzkartelle: Was nutzen uns tausende weitere Polizistinnen und Polizisten, die ähnlich defizitäre Ausbildungen, Selbst- und Fremdbilder mit strukturellem Rassismus, Sexismus, Fremdenfeindlichkeit sowieso und andere Defizite in der täglichen Polizeipraxis fortführen? Durchgeknallte Innenminister wie Frank Henkel in Berlin würden sich noch mehr ermutigt fühlen, weiter Rigaer Straße zu „spielen“ und würden Beamtinnen und Beamte weiter Hausmeistertätigkeiten und andere Verwaltungsarbeiten machen lassen wie bei den Flüchtlingsströmen 2015/16.

Was verbessert werden muss

Würde mehr Polizei nicht auch mehr Sicherheit bringen?

Eben nicht. Vielleicht eines Tages, wenn wieder Kreativität und Nachdenklichkeit zugelassen werden könnten. Nur wenn interne Kritik nicht als persönlicher Angriff betrachtet und das Mobbing gegen Querdenker in der Polizei deutlich heruntergeschraubt werden würde. Der schlechte Zustand der Ausbildung würde weitere Polizeibeamtinnen und -beamte genauso zu Kopien der bisherigen Apparate, einschließlich ihrer Probleme, machen wie bisher.

 

Die Polizei hat interne Instanzen, durch die falsche Entscheidungen und Handlungen von Polizisten geahndet werden sollen. Wie gut funktionieren diese Instanzen?

Aus unserer Sicht liegt das Problem in der Nähe zwischen Staatsanwaltschaft, Polizei und den internen Ermittlern. Die Dienstaufsicht funktioniert nicht. Es herrscht ein flächenhaft grassierender, falscher Korpsgeist: Da wird nicht gegen Kollegen ermittelt. Das ist ein ganz unsauberes Geschäft, was da läuft. Die Insider wissen das.

 

 

Interviewpartner: Thomas Wüppesahl

Kriminalbeamter außer Dienst und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten. Früher saß er für Bündnis 90/ Die Grünen im Bundestag. Foto: Martin Bühler

Beitragsbild: WikiCommons, CC by-sa-2

 

 

 

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