Die kulturellen Chamäleons

Unsere Autorin zog mit ihren Kindern öfters um. Was bedeutet es für Kinder, in anderen Kulturen aufzuwachsen? Sind sie überall zu Hauseoder nirgendwo?

“Zuhause ist überall, nirgends ist zuhause.”

“Bevor ich gehen konnte, war ich schon Vielflieger!”

“Kulturschock erleiden, wenn du dein Heimatland besuchst.”

„Habe ich keine Wurzeln oder bin ich frei?“

Das alles sind keine willkürlichen Zitate aus einem Wandkalender, sondern Aussagen von Menschen, die im Ausland ihre Kindheit oder Jugend verbracht haben und dort aufgewachsen sind. In das Ausland entsendet zu werden wird gerne als eine äußerst positive und bereichernde Erfahrung angesehen: für einen selbst, die Karriere und für die mitreisende Familie. Zweifellos gibt eine Entsendung neue Herausforderungen und Möglichkeiten, seine Fähigkeiten weiter zu entwickeln, sowie Einsicht in kulturelle Unterschiede.

Besonders für die mitreisenden Kinder und Jugendliche erweitert es den Horizont weit über das hinaus, was sie ‘zuhause’ erfahren und erleben können. Diese Kinder und Jugendlichen leben eine unglaublich reiche Kindheit und Jugend in anderen Ländern und Kulturen. Sie verstehen, dass es viele Lebensweisen gibt, viele Wege, Dinge zu tun und viele Wege, zu glauben. Andere Wege und Weisen als in Deutschland.

Die versteckte Differenziertheit dieser Kinder und Jugendlichen lässt sie zu guten Kommunikatoren  sowie Brückenbauern zwischen Deutschland und anderen Ländern und Kulturen werden. Man nennt sie nicht umsonst die ‘kulturellen Chamäleons’.

Aliens im Heimatland

Doch es gibt auch eine Kehrseite der Medaille. Und über diese Kehrseite liest und hört man wenig in Deutschland. Diese Kinder und Jugendlichen haben mehr Aufmerksamkeit und Fürsorge verdient. In einer globalisierten Welt, in der Entsendungen für deutsche Firmen wichtiger sind als jemals zuvor, sind mehr und mehr deutsche Kinder davon betroffen. Diese deutschen Kinder, die in einer anderen Kultur aufwachsen als die ihrer Eltern, sind anders als die deutschen Kinder, die in der Heimat groß werden.

Das muss man erkennen und anerkennen. Diese jungen Menschen erleben oft, wenn sie nach Deutschland zurückkehren, dass sie missverstanden werden, als merkwürdig und anders angesehen werden – sie passen nicht hinein in das Land, dem sie zugehörig zu sein glaubten und fühlen sich teilweise wie Aliens. Den Begriff Aliens habe ich mir nicht selber überlegt, sonder meine Kinder ihn benutzen, um zu beschreiben, wie sie sich beispielsweise zwischen ihren Cousins und Cousinen bei Familientreffen in Deutschland fühlten.

Meine beiden Kinder sind ab ihrem dritten beziehungsweise vierten Lebensjahr in fünf verschiedenen Ländern aufgewachsen und bestritten ihre Schullaufbahn auf internationalen Schulen mit jeweils über 40 Nationalitäten. Ich war schockiert, dass sie sich nicht einmal im Familienkreis zugehörig fühlten und habe versucht, mehr darüber in Erfahrung zu bringen, was es für meine Kinder so schwierig macht. Hier half mir ein Blick in Richtung USA.

Die USA hat alleine durch ihr weltweit eingesetztes Militär, in mehr als 800 militärischen Standorten in 80 Ländern, hundertausende ihrer Kinder ins Ausland gesendet. Über diese besonderen Kindheiten hat man Forschung betrieben und Erkenntnisse erlangt, die auch deutschen Familien, die in das Ausland entsendet werden, hilfreich sein können. Immerhin leben laut der Bundeszentrale für politische Bildung zwischen 10 und 15 Millionen Deutsche im Ausland. Wie viele hiervon als Arbeitsnomaden entsendet wurden, wird leider nicht aufgeführt, aber die Schätzungen bewegen sich zwischen 12.000 und 40.000.

Diese Kinder, die in einer anderen Kultur aufwachsen als die ihrer Eltern, sind nicht wie die anderen Kinder./su_pullquote]

Personen, die eine signifikante Zeit seiner Entwicklungsjahre außerhalb der Kultur ihrer Eltern verbracht haben werden „TCK“ („third culture kids“) genannt. Den Begriff hat der amerikanische Soziologe David C.Pollock 1999 geprägt. Ein third-culture-kid baut oft Beziehungen zu allen Kulturen, die es umgibt, auf, ohne aber eine von diesen vollständig anzunehmen. Selbst wenn Elemente von jeder dieser Kultur in der Lebenserfahrung des third-culture-kids (TCKs) assimiliert werden, ist das Zugehörigkeitsgefühl in Relation zu anderen Menschen mit gleichem oder ähnlichem Hintergrund und nicht zu einer bestimmten Kultur oder bestimmtem Land.

Die Assmiliation von verschiedenen Kulturen bringt mit sich, dass diese Kinder sich beinahe jeder neuen Umgebung anpassen können.

Wo gehöre ich eigentlich hin?

Die amerikanische Soziologin Ruth Hill-Useem hat drei deutlich separate Kulturen identifiziert, denen entsendete Kinder ausgesetzt werden:

•  Die erste Kultur referiert zum Heimatland, bzw. der Nationalität.

•  Die zweite Kultur referiert zu Ländern, in denen das Kind aufwächst.

•  Die dritte Kultur referiert zu der Gemeinschaft von Menschen, die das Gleiche erleben/erlebt haben, eine Kindheit im Ausland.

Die Definition eines TCK passt mit Einschränkungen auch auf Flüchtlings- und/oder Immigrationskinder. Der entscheidende Unterschied ist jedoch, dass Kinder von entsendeten deutschen Familien noch ihre Heimatbasis in Deutschland haben, während sie in einem anderen Land leben. Entsendete Familien arbeiten oft mit zeitbegrenzten Arbeitsverträgen. Die Notwendigkeit, sich in der fremden Kultur zu integrieren, ist nicht vorhanden. Man passt sich an, soweit notwendig, aber hält an seiner eigenen Kultur fest. Es besteht ja stets der Plan, irgendwann wieder ins Heimatland zu ziehen.

Für Erwachsene, die entsendet sind, ist es glasklar, wo sie hingehören und wo ihre Wurzeln sind. Diese Klarheit erleben und fühlen die mitreisenden Kinder nicht. Das kann zu Problemen führen.

International mobile junge Menschen kämpfen mit Fragen wie “Wo gehöre ich hin und wo gehöre ich dazu?”. Das kann zu einem Problem werden, zum Beispiel wenn sie nach Deutschland zurückkehren. Über viele Jahre war die Antwort auf die Frage “Wo kommst du her?”: Deutschland – das Land, das ihren Pass ausstellt. Aber wenn sie nun nach Deutschland zurückkehren, fühlen sich die Meisten mehr als internationale Studenten, denn als Deutsche und können daher die Frage nicht mehr so einfach beantworten.

Darum ist es für Eltern wichtig, sich dieser Problematik bewusst zu sein und die Kinder und Jugendlichen auf eine Repatriierung, den Wiedereintritt in das Heimatland, gut vorzubereiten. Die gute Nachricht ist: Untersuchungen in den USA zeigen, dass Menschen, die kurz vor oder nach einem internationalen Umzug spezielles cross-cultural Training erhalten haben, einen leichteren Übergang erleben. Eine Aufgabe derer sich deutsche Firmen annehmen sollten, mit speziellem Fokus auf die mitreisenden Kinder.

Für diese ist es wichtig zu verstehen, dass

  • Die internationalen Erfahrungen sie ‘anders’ machen als  Gleichaltrige, die daheim aufwachsen.  Diese Unterschiede positiv zu besetzen hilft bei der Wiedereingliederung.
  • Es sind die Erfahrungen und Erlebnisse, die es für die Anderen problematisch machen, sie zu  verstehen. Es ist nicht ihre Person oder Persönlichkeit, die es problematisch macht.
  •  Sie sollen sie selbst sein. Adaption ist schwer, aber wenn man es mit aller Gewalt probiert, wird es  in der Regel nichts.
  • Beziehungen brauchen Zeit, Geduld und Verständnis von beiden Seiten.

Der dänische Schauspieler Viggo Mortensen sagte einmal über seine Kindheit in verschiedenen Kulturen, dass es ihm die Fähigkeit gegeben habe, sich blitzschnell anzupassen und er immer fühle, dass er etwas mit Anderen gemeinsam hat – egal, welcher Kultur oder Herkunft: “Out of habit you assume that you have something in common with people no matter how different they seem.”

Deutsche Firmen, die international operieren oder multikulturelle Organisationen haben, täten gut daran, sich die deutschen TCKs genauer anzusehen. Diese besitzen die Fähigkeiten und Einsichten, die die Innovationskraft, Kreativität und Zusammenarbeit im In-und Ausland stärken können.


Silke Pedersen ist 50 Jahre alt, hat zwei erwachsene Kinder und, aufgrund der Karriere ihres Mannes, in den letzten 17 Jahren in fünf verschiedenen Ländern gelebt. Ihre Kinder sind in Deutschland, Dänemark, Bahrain, Qatar und Saudi Arabien aufgewachsen.

Beitragsbild: Joshua Earle (unsplash), CC0

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