Deutschland, einig Fahrradland?

Nach der Wahl ist vor der Wahl: Nach Mecklenburg-Vorpommern standen im Spätsommer 2016 die Abgeordnetenhauswahlen in Berlin und Kommunalwahlen in Niedersachsen an. Besonders die Grünen machten Fahrradfahren im Wahlkampf zu einem Thema: bessere Infrastruktur und mehr Fahrradwege. Aber was ist eigentlich der Status Quo der Fahrradpolitik in Deutschland?

 

Fahrradfahren für die Nachhaltigkeit

Im September 2015 wurde von der UN die Agenda 2030 verabschiedet. Damit hat sich jeder Mitgliedsstaat dazu verpflichtet, 17 Ziele zur nachhaltigen Entwicklung zu erreichen. Obwohl Fahrradfahren in den Zielen nicht explizit genannt wird, kann es einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten. Mehr Fahrradfahren – vor allem, wenn es kurze Fahrten mit dem Auto ersetzt – könnte zum Erreichen der Ziele 9 (Innovation und Infrastruktur), 11 (nachhaltige Städte und Gemeinden), 3 (gute Gesundheit) und 13 (Maßnahmen zum Klimaschutz) beitragen. Wer täglich nur drei Kilometer Autostrecke durch Radfahren ersetzt, kann dabei ein Viertel Tonne CO2 im Jahr einsparen. Hier gibt es ein Tool, das einem die persönlichen und Umweltvorteile der eigenen Fahrradstrecke berechnet.

 

Heute auf dem Fahrrad in Deutschland

Laut Verkehrsministerium werden 10% aller Wege in Deutschland mit dem Rad zurückgelegt. Zum Vergleich: in Dänemark liegt der Anteil bei 18% und in den Niederlanden sogar bei 27%. Die Anzahl der Fahrräder scheint bei diesem Unterschied nicht der ausschlaggebende Faktor zu sein, in einigen Bundesländern gibt es sogar mehr Fahrräder als Menschen.

In einigen Bundesländern gibt es sogar mehr Fahrräder als Menschen.

Eine Studie im Auftrag des Verkehrsministeriums zeigt, dass 83% der Befragten sich eine stärkere Beschäftigung der Politik mit dem Thema Radverkehr auf kommunaler Ebene wünschten. Nur 12% stuften die Bundesregierung und 19% ihre Landesregierung als fahrradfreundlich ein. Hier besteht also eindeutig Nachholbedarf.
Allerdings liegt die Verantwortung für eine fahrradfreundliche Politik nicht in erster Linie bei der Bundesregierung. Sie kann hauptsächlich Einfluss durch Rechtssetzung in der StVO, Imagekampagnen und vereinzelte Zuschüsse nehmen. Die meisten Entscheidungen zum Thema Fahrradverkehr werden von den Kommunen selber getroffen. In einigen deutschen Städten sind Investitionen in die Fahrradinfrastruktur extrem gering.

Berlin beispielsweise investierte 2013 ca 1,40€ pro Kopf, während der Wert in Amsterdam bei fast 27€ liegt. Die niederländische Stadt Groningen führt in Sachen Fahrradinvestitionen und -politik: dort werden ganze 105€ pro Jahr und Einwohner ausgegeben und der Verkehr wird zu 60% mit dem Fahrrad zurückgelegt. Sogar für den häufigen Regen gibt es dort Vorkehrungen: Nässesensoren sorgen dafür, dass Ampeln bei Regen für Radfahrer schneller umspringen – Autofahrer sitzen ja im Trockenen und können deswegen länger warten.

Es mangelt nicht an Geld

Die Fahrradstadt Groningen ist natürlich ein teures Projekt, aber das Problem ist nicht immer, dass zu wenig Geld vorhanden ist, um die Fahrradinfrastruktur sinnvoll auszubauen. Der Tagesspiegel berichtete, dass Verkehrsminister Dobrindt 2017 25 Mio € im Bundeshaushalt für die Radverkehrsförderung vorgesehen hat. Um diese Förderung zu bekommen werden konkrete Pläne und Machbarkeitsstudien verlangt. Diese wurden im Ruhrgebiet schon vor zwei Jahren in Auftrag gegeben, erste Mittel flossen und Abschnitte des ersten Radschnellwegs RS1 sind bereits fertig gestellt. Der Berliner Senat dagegen ließ noch bis vor kurzem auf sich warten – so wird das mit der Bundesförderung wohl auch noch eine Weile dauern.

Es fehlt also in einigen Städte eine durchdachte Verkehrsstrategie, in der Radfahren eine zentrale Rolle spielt. Um das Fahrradfahren in den Mittelpunkt zu rücken, muss politisch Druck ausgeübt werden – beispielsweise durch Wahlen, Petitionen oder Aktionen wie Fahrradsternfahrten, die es in vielen deutschen Städten gibt. In diesem Sinne: Schwingt euch auf die Räder oder an die Wahlurnen, um Deutschland fahrradfreundlicher zu machen.

 

Johanna Renz arbeitet im Projekt 2030 Watch der Open Knowledge Foundation Deutschland. Außerdem macht sie einen Master in Social Policy Evaluation in Oxford.

Illustration: Mikhail Svyatskiy für transform

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