Carola Rackete: Handeln statt Hoffen

Carola Rackete veröffentlichte das Buch „Handeln statt Hoffen“. Der transform-Redakteur Marius Hasenheit durfte das Transkript im Vorfeld kommentieren. Hier veröffentlichen wir Auszüge des Buches.

Artikel 98 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen legt fest, dass jeder Kapitän dazu verpflichtet ist, Schiffbrüchigen Hilfe zu leisten, wenn das vernünftigerweise von ihm erwartet werden kann.

Seenotrettung

Seenot liegt nach gängiger Auffassung vor, wenn die Gefahr besteht, dass Besatzung und Passagiere eines Bootes ihr Leben verlieren. Es spielt keine Rolle, warum dieses Boot in Seenot geraten ist.

Seenotrettung ist eine völkerrechtliche Pflicht, sie findet sich in vielen Vorschriften im Bereich des See-rechts wieder. Im Seerechtsübereinkommen von 1982 etwa ist festgelegt, dass Staaten dazu verpflichtet sind, eine Seenotrettung einzurichten…

Lösungen für soziale & ökologische Krisen

Eine bessere Ökonomie muss sich am guten Leben für alle orientieren. Ihr Ziel wäre es, soziale Ungerechtigkeit und Armut zu vermeiden und common goods – Güter der Allgemeinheit wie die Atmosphäre, die Polarregionen, die Weltmeere, das All, aber auch das Internet – allen Menschen zur Verfügung zu stellen. Genauso wie der Zugang zu social goods, also sozialen Gütern wie Gesundheitsversorgung oder Bildung, bezahlbares Wohnen und öffentlicher Nahverkehr, verbessert werden muss. Für die Nutzung dieser Güter muss es klare Regeln geben und ein Kontrollgremium, das dafür sorgt, dass die Regeln eingehalten werden und die Nutzung gerecht ist.

Viele Forschende beschäftigen sich bereits damit, wie ein alternatives Wirtschaftssystem aussehen müsste. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth hat ein Modell entwickelt, in dem nicht gegen äußere, physische Grenzen unseres Planeten verstoßen werden darf: Wasserübernutzung, Klimawandel, Landübernutzung, Zerstörung der Ozonschicht, Ozeanversauerung, Verlust der Biodiversität dürfen uns nicht die Lebensgrundlage rauben. Zugleich berücksichtigt ihr Modell innere soziale Bedürfnisse, die erfüllt sein müssen, wie Nahrung und Wasserversorgung, Arbeit, Energie, Bildung, Einkommen und Chancengleichheit.

Ihr Wirtschaftssystem hat die Form eines Donuts, wobei die inneren sozialen Bedürfnisse die eine Grenze und die Grenzen des Ökosystems die andere sind. Die inneren Grenzen dürfen nicht zulasten der äußeren ökologischen Grenzen erfüllt werden. Ein System, das die ökologischen Grenzen überschreitet, nur um wachsen zu können, so Raworth, nützt uns nichts: Wir brauchen ein System, das dem Menschen dient, nicht eines, das nur sich selbst dient. Um ein solches System zu erreichen, sei eine große Umverteilung notwendig, sie führe aber letztlich zu einer gerechteren und sicheren Welt, in der weder die Ökosysteme und das Erdklima noch die Gesellschaft zerstört werden.

Die Anthropologin Susan Paulson und der Ökonom Giorgos Kallis und viele weitere Forschende sind derselben Meinung. Die Wirtschaft dürfe nicht mehr weiter wachsen, denn durch das derzeitige System verstärke sich soziale Ungleichheit, wodurch nicht nur das Wirtschaftssystem leide, sondern auch das demokratische Fundament der Gesellschaft. Sie schlagen ein System vor, das Wachstum als Ziel der Wirtschaft rigoros ablehnt, und nennen es Degrowth. In dem Forschungspool, der sich zu dem Thema gebildet hat, entstehen vielfältige Ideen:

  • Abschaffung des Bruttoinlandsprodukts als Indikator für wirtschaftlichen Fortschritt.
  • Ökologische Obergrenzen für CO2 und natürliche Ressourcen.
  • Eine zusätzliche CO2-Steuer, deren Einkünfte dann für soziale Projekte eingesetzt werden.
  • Ressourcennutzungsbegrenzung und Müllvermeidung.
  • Ein Mindesteinkommen – genau wie ein Höchsteinkommen. Arbeitszeiten von 20 Stunden pro Woche.
  • Eine Besteuerung, die Ungleichheit in der Gesellschaft mindert.
  • Ein Verbot von Werbung.
  • Die Beendigung umweltschädlicher Subventionen und Investitionen.
  • Unterstützung des nicht-gewinnorientierten kooperativen Wirtschaftssektors durch Subventionen, Steuerbefreiungen und Gesetzgebung

Fangen wir an zu handeln!

Wir können gemeinsam und demokratisch eine Gesellschaft gestalten, in der die höchsten Werte nicht Geld und Wachstum und fortwährender Konsum sind. In der wir stattdessen auf Solidarität und Gerechtigkeit und Gemeinschaft setzen. Eine Gesellschaft, in der Wohlstand ganz einfach bedeutet, dass es allen gut geht.

Die Zeit auf der Erde ist für jeden von uns begrenzt, warum nicht etwas wirklich Sinnvolles damit anstellen? Wir können Leben retten. Oder wir können das Problem aussitzen und so viele Menschenleben riskieren. Wie entscheidest du dich?

Dies sind wichtige Jahre, wahrscheinlich die letzten, in denen wir das Überschreiten wesentlicher Kipppunkte, die eine Heißzeit auf unserem Planeten einleiten, noch verhindern können.

Wenn du jung genug bist, um den Klimazusammenbruch mit voller Wucht zu erleben, bist du aufgefordert, deine Zukunft zu verteidigen.

Wenn du älter bist, ist dies der Zeitpunkt, um wirklich etwas für nachfolgende Generationen zu tun.

Gleich, welcher Generation du angehörst, ist dies vor allem auch der Zeitpunkt, um für globale Gerechtigkeit zu sorgen, denn indem du etwas gegen die Klimakrise tust, solidarisierst du dich mit den Menschen, die schon jetzt unter den Auswirkungen leiden…

Bewegungen: Klein aber effektvoll

Zivilgesellschaftliche Bewegungen waren immer schon ein Weg, um Veränderung anzustoßen. Je größer eine solche Bewegung ist, umso erfolgreicher.

Es ist richtig, auch den eigenen Konsum einzuschränken, also nicht zu viel neue Kleidung zu kaufen, nicht zu fliegen, kein Fleisch zu essen. Aber dort darf es nicht enden. Die ökologische Krise ist ein strukturelles, weltumspannendes, systemisches Problem, das durch individuelle Entscheidungen zur Lebensweise allein nicht gelöst wird. Privater Konsumverzicht ist ohnehin selbstverständlich, wenn dir der Ernst der Lage bewusst ist, aber muss einhergehen mit Gemeinschaftsaktionen und politischer Arbeit für den Systemwandel.

Jede Bewegung startet klein, oft nur mit einer Handvoll Menschen. Den Forschungen der Politikwissenschaftlerin Erica Chenoweth zufolge müssen sich nur 3,5 Prozent der Bevölkerung einem Protest aktiv an-schließen, damit dieser erfolgreich ist. In Neuseeland haben so viele Menschen bereits beim Klimastreik mitgemacht. Und während Parteien europaweit unter Mitgliederschwund leiden, verzeichnen politische Bewegungen insgesamt Zuwachs. Wir sehen uns Problemen gegenüber, die unabhängig von Parteigrenzen als existenzielle Krise erkannt werden. Es wird immer mehr Menschen klar, dass wir aktiv werden müssen. Die Demonstrationen von Fridays for Future haben bereits bewirkt, dass der Ruf für mehr Klimaschutz weltweit gehört wird. Wenn dies sich verstärkt, können wir alle als »letzte Generation« – als die Menschen, die in diesen entscheidenden Dekaden am Leben sind – mehr für den Erhalt der menschlichen Gesellschaft erreichen.


Titelfoto: Ruben Neugebauer
Beitragsbilder (in dieser Reihenfolge): Sea-Watch; Lewis Parsons (Unsplash); Markus Spiske (Unsplash)

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