Wie wir unsere Demokratie verteidigen können

Demokratie, Gemeinschaft und Freiheit sind Errungenschaften, die keine Selbstverständlichkeit sind. Sie müssen immer wieder aufs Neue verteidigt werden.

Zwei Kräfte bedrohen unsere Demokratie derzeit hauptsächlich: Zum einen religiöse Fanatiker, die versuchen, den Glauben in unsere Werte und Institutionen durch Anschläge zu erschüttern. Gegen diese Kräfte gilt es, die eigenen Werte hochzuhalten und sie weiterhin zu leben – dies soll allerdings hier nicht Thema sein. Zum anderen ist unsere Demokratie durch die angeblich „neue“ Rechte bedroht, die, oft durch bürgerliches Auftreten getarnt, Ängste schürt und Hetze betreibt. Deren Fernziel scheint, so können wir es in verschiedenen anderen Ländern beobachten, demokratische Institutionen zu kapern und auszuhöhlen, um eine Politik der Angst und Ausgrenzung zu betreiben. Es sind im Kern undemokratische Parteien wie die AfD, Front National, UKIP und ihre Verbündeten, etwa die Identitäre Bewegung, gegen die wir Gesicht zeigen müssen.

Uns sind nicht die Hände gebunden

Unsere Demokratie bietet uns dafür diverse Mittel: Wir können unsere Stimme erheben und Gesicht zeigen, in Tageszeitungen, Zeitschriften, sozialen Medien, etc. So wichtig dies auch ist, um Meinungen auszutauschen, (gemeinsame) Positionen zu finden und sich Gehör zu verschaffen, so kann es nicht genügen, unsere Meinungen über einen Tweet, einen Facebook-Eintrag oder einen Blog-Post kundzutun. Zu häufig erreicht dies nur ohnehin Gleichgesinnte. Eines der probatesten Mittel, um Demokratie zu leben, ist der Wahlkampf. Die größte Version davon in unserer Demokratie, der Bundestagswahlkampf, steht im Jahr 2017 erneut an; aber nicht nur dieser.

Im Wahlkampf gibt es viele Themen und – um bei der „Kampf“-Metapher zu bleiben – viele Gegner. Für mich gibt es dieses Jahr aber vor allem eine Gewinnerin, für die es zu kämpfen lohnt, die Demokratie, und einen großen Gegner, die „Alte-Neue Rechte“. Dieser Text ist ein Aufruf zum Kampf für die Demokratie. Und eine Anleitung, wie wir alle ihn führen können.

Die Alte-Neue Rechte

Die Alte-Neue Rechte, also Parteien wie die AfD und ihre Verbündeten, stänkern gerne gegen „etablierte Parteien“ und stellen sich als neue, frische Kräfte dar. Dabei nutzt gerade die Alte-Neue Rechte dieselben Mittel von Angstmache, Falschinformation und Ausgrenzung wie ihre Vorgängerparteien zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Neu sind nur die Gesichter und die Art, wie soziale Netzwerke für die eigenen, perfiden Zwecke eingesetzt werden.

Was die Alte-Neue Rechte besonders gefährlich macht: Sie braucht für ihre Art der Politik immer neue Sündenböcke. Heute sind es die Flüchtlinge, morgen vielleicht die Alten, die „uns auf der Tasche sitzen“, übermorgen womöglich die Frauen, die „nicht am Herd bleiben und für die Familie sorgen wollen“, etc. Es kann jeden treffen.

Gemeinschaft und Freiheit stärken

Groß werden konnte die Alte-Neue Rechte nur dank diffuser Ängste, die unsere Gemeinschaft geschwächt haben. Sicher ist die Politik der jüngeren Zeit dabei nicht unschuldig: Der neoliberale Turbokapitalismus hat Starke stärker und Schwache schwächer gemacht, die Gesellschaft weiter gespalten. Spätestens die Finanzkrise hat viele schwer erschüttert und dazu geführt, dass einige sich zurückgelassen fühlen. So, wie er allenthalben umgesetzt wird, vergeht sich dieser Turbokapitalismus an den Wurzeln einer funktionierenden Demokratie: Gemeinschaft und Freiheit.

Der neoliberale Turbokapitalismus empfindet solidarische Hilfe als Schwäche und kennt keine Wertschätzung außer dem monetären Gewinn. Etwas für die Gemeinschaft zu tun erscheint als naiv, ja sogar als hinderlich; alles ist auf effizient getrimmt. Wenig erstaunlich, dass auch die Alte-Neue Rechte solchen Werten anhängt. Am besten zeigt sich dies, wenn sie über „Gutmenschen“ schimpft: Denn eine „Volksgemeinschaft“ muss auf Effizienz getrimmt sein, homogen, agil, schlagfertig. Menschen, die Bedenken äußern und auf die Interessen von Benachteiligten verweisen, stören hier nur.

Obwohl er den Bestandteil „liberal“ im Namen trägt, steht der neoliberale Turbokapitalismus damit auch der persönlichen Freiheit entgegen. Zwar haben in unserer derzeitigen Gesellschaft so viele wie nie zuvor die Möglichkeit, so zu sein, wie sie sind (bisexuell, konservativ, Hip-Hopper, …), das aber ist eine Errungenschaft der Aufklärung, deren Lehre dem Individuum die Möglichkeit zuspricht, sich zu entfalten und auszudrücken. Im neoliberalen Turbokapitalismus wird vor allem gemessen, gemessen, gemessen: Was nicht den richtigen Output liefert, wird entsorgt. Individuelle Freiheit ist höchstens ein Feigenblatt, das als Opium dient, um das (idealerweise) effizient und kritiklos mitziehende Volk zu beruhigen.

Keine der demokratischen Parteien kann ein Interesse an einem solchen System haben. Durch unsere Mitwirkung am Wahlkampf können wir in die Parteien hineinwirken und ihnen zeigen, was wir (mindestens!) wollen:

Eine Gemeinschaft, in der…
…wir einander unterstützen, auch ohne einen direkten eigenen Nutzen davon zu haben.
…wir uns gegenseitig respektieren und wertschätzen, anstatt einseitig Respekt einzufordern und einander ständig zu misstrauen.
…die Einzelnen sich entfalten und auf ihre Art und Weise glücklich werden können.

Demokratie verteidigen

Es genügt heute nicht, sich der zahlreichen Publikationsorgane zu bedienen, die sich zunehmend in einem amorphen digitalen Äther bewegen. Den direkten Kontakt, besser: den realweltlichen Raum sollten wir nicht anderen, demokratiefeindlichen Aktivisten überlassen.

Mein Ziel für das Jahr 2017 ist, mich nicht nur im digitalen, sondern auch im realweltlichen Raum zu engagieren: im Wahlkampf. Es müssen noch viele Plakate geklebt, Handzettel verteilt und kritische Mitbürger im direkten, sicher oft kontroversen Gespräch davon überzeugt werden, eine demokratische Partei zu wählen.

Dass Politikmachen dabei nicht meine Hauptbeschäftigung sein wird, verbindet mich mit vielen anderen Demokraten. Wie für viele andere werden auch meine Zeit und meine Energie recht begrenzt sein. So wie aber viele Tropfen einen Strom ergeben, kann durch die Mitwirkung vieler Einzelner eine entsprechende kritische Masse entstehen, die die Demokratie lebt und damit verteidigt.

Falls du noch zögerst: Es ist egal, für welche der demokratischen Parteien du dich engagieren willst. Häufig musst du dafür gar nicht Mitglied sein. Es muss noch nicht mal eine bestimmte Partei sein: Du könntest einfach dafür werben, dass Demokraten auch unbedingt zur Wahl gehen. Wichtig ist, dass wir die Stimme erheben, Gesicht zeigen und den direkten Kontakt suchen. Denn eines ist sicher: Die Zukunft lassen wir uns von Ewiggestrigen nicht wegnehmen!


Oliver Czulo

Oliver ist Übersetzungswissenschaftler und beschäftigt sich von Berufs wegen mit Denkmustern in verschiedenen Sprachen und Kulturen. Privat ist er gelegentlich ein unverbesserlicher Optimist.

 

 

 

 

Beitragsbild: CCO, flickr

Wir müssen reden

Mit denen rede ich nicht

 

  1. Noch wichtiger wäre aus meiner Sicht zu erkennen, dass wir nicht wirklich in einer Demokratie leben. Nicht ohne Grund nennen sich die meisten westlichen Länder Republiken. Nun darf man nicht den Fehler machen hier Wortklauberei zu betreiben, aber der Unterschied zwischen Republik und Demokratie wurde schon in der Antike diskutiert (mit Sympathien für die Republik, da der Pöbel nicht für zurechnungsfähig gehalten wurde) und auch die Gründerväter der USA haben sich explizit für die Form der Republik ausgesprochen. Nicht ohne Hintergedanken, die guten Männer waren allesamt Großgrundbesitzer und mit Abstand die reichsten Menschen auf dem neuen Kontinent. Denn Republik heißt nichts anderes als durch Wahlen legitimierte Oligarchie.

    1. Der heutige Gebrauch von Demokratie schließt auch Schutz von Benachteiligten und Meinungsfreiheit mit ein und hat sich damit von Begriffen wie Oligarchie emanzipiert. Es sind diese Werte, um die es mir – und nicht nur mir – geht.

  2. Das der Begriff sich emanzipiert hat ist ja schön. Letztendlich zählen aber die die tatsächlichen Machtstrukturen. Und da haben die Bevölkerungen in den Nationalstaaten recht wenig zu sagen. In nationalstaatlicher Organisation ist das möglicherweise auch nicht so schlecht. Aber das ist soweit weg von egalitären und dann demokratischen Zuständen, dass man da nix bewahren kann , sonder sich erkämpfen muss, mit der Gefahr, dass wieder was anderes dabei rauskommt, als man dachte

    1. Jetzt mal Butter bei die Fische: Worauf willst du hinaus? Ich bin für eine evolutionäre Demokratie und habe ja Punkte aufgeführt, die zu erkämpfen wären. Libertäre und anarchische Modelle halte ich für Wegbereiter einer Herrschaft der Stärkeren, autokratische Modelle gehen ohnehin nicht.

      Außerdem ist es naiv, von einer Machtlosigkeit der Einzelnen zu sprechen. Können bei uns Dinge durchgesetzt werden, ohne das relevante Teile der Gesellschaft mitziehen, von NGOs bis Verwaltungen? Nein. Was man aber gerne übersieht, ist, dass es eben sehr verschiedene Interessen gibt. Ein Interessenausgleich ist schon in einer vierköpfigen Familie schwierig, wie ist das dann erst unter 80Mio. Menschen… Ich sage nicht, dass es optimal läuft, aber doch erstaunlich gut, und ebenso mühsam. Die Mühsal gibt’s aber auch schon in Zweierbeziehungen. Einziger Weg daraus wäre, ganz solitär zu leben – für viele doch sicher auch nicht erstrebenswert.

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