Psst! Illustration von Christian Heerde für transform

Warum sich niemand für deine Guilty Pleasures interessiert

Guilty Pleasures müssen sündhaft, süß oder peinlich sein? Bullshit. Es sollte keine beschämenden Vergnügungen geben. Sie sind nur eine Kategorie, mit der man sich selbst und seinen Konsum auf eine interessante Weise darstellen kann.

Ich höre es immer wieder. Menschen behaupten, dass Taylor Swift, Germany’s Next Topmodel oder irgendein anderer kommerziell erfolgreicher Kram ihr »Guilty Pleasure« sei. Das ist Quatsch.

Ich habe auch schon Dinge als mein Guilty Pleasure bezeichnet. Zum Beispiel, dass ich Yu-Gi-Oh! schaue. Das ist ein Anime aus den 90ern, in dem es um eine Gruppe Jugendlicher geht, die in einem Kartenspiel namens Duel Monsters gegeneinander antreten. Die Partie gewinnen sie meist, indem die Spieler fest an das Herz der Karten glauben.

Der Zeichenstil ist nicht sonderlich kunstvoll und die Dialoge sowie der dramaturgische Aufbau der Folgen grauenhaft. Trotzdem zeigt sich nicht nur an meinem Netflix-Verlauf, dass ich mehrere Folgen angeschaut habe, ich twitterte auch darüber und erwähnte es in meiner Instagram-Story. Ich würde die Serie niemals ernsthaft empfehlen. Trotzdem bin ich, seit ich neun war, in Seto Kaiba verknallt und muss weinen, weil er nichts liebt außer seinen kleinen Bruder Mokuba. Und ja, ich finde es manchmal rührend, wie wichtig in dieser Serie das Thema Freundschaft ist.

Es ist ok, wenn du mal was Uncooles magst! Aber das tun doch ohnehin alle, oder?

Natürlich kannst du sagen, Yu-Gi-Oh! sei mein Guilty Pleasure. Aber in meinen semi-ironischen Postings über diesen Anime steckt viel mehr als nur das Bekenntnis zu seichter Unterhaltung. Darin steckt ein Bruch mit der Erwartungshaltung, die Menschen mir gegenüber haben könnte. Und der basiert auf der Tatsache, dass sie bei einer Person in meinem Alter und meiner Präsenz nicht davon ausgehen, dass ich mir Kartenspiel-Animes anschaue. Wenn ich Erwartungshaltungen auf eine so triviale Art breche, dann ist das irgendwie witzig.

Affektiertes Desinteresse ist was für arrogante Möchtegern-Elite, die lässig rauchend vor Cafés hockt, nur über Hochkultur spricht und das neue Buch von Houellebecq diskutiert.

Haha, Mihaela schaut immer noch eine Zeichentrickserie, die andere mit sieben Jahren geschaut haben, nachdem sie mittags von der Grundschule nach Hause gekommen waren. Affektiertes Desinteresse ist was für arrogante Möchtegern-Elite, die lässig rauchend vor Cafés hockt, nur über Hochkultur spricht und das neue Buch von Houellebecq diskutiert. (Ja, ich musste googeln, wie man seinen Namen schreibt).

Indem du deine vermeintlich peinlichen Lieblingsserien, -filme und -songs äußerst, zeigst du dich verletzlich. Du entledigst dich deiner harten, unnahbaren Konsum-Hülle, legst deine vorzeigbaren Vorlieben ab und bekennst dich zu deinen heimlichen Lieblingen. Die gut sortierte Minimal Deep House-Plattensammlung bringt dir vielleicht den Respekt, aber wenn du deine Liebe zu Taylor Swifts »Shake it off« gestehst, bringt dir das die Herzen. Oder so. #relatable

Es gibt auf Spotify unzählige »Guilty Pleasures«-Playlists. Die sind nur mit Songs gefüllt, die anscheinend nicht gute Musik sein sollen, die du aber trotzdem unter der Dusche mitsingst und auf diese »es ist eigentlich schlecht, aber ich liebe es trotzdem«-Art feierst. Wir finden für dieses Phänomen immer wieder neue Legitimationen und Rechtfertigungen, wieso wir sie gut finden: Entweder sind sie unser Guilty Pleasure oder »einfach Kult«.

Ich finde es gerade beim Thema Musik schwierig, von Guilty Pleasures zu sprechen. Denn in den meisten Fällen werden aktuelle oder ältere, erfolgreiche Charthits als solche bezeichnet. Musik, die in die Charts soll, wird so geschrieben und komponiert, dass möglichst viele Menschen sie mögen. Wenn du scham-erfüllt gestehst, dass du den neuen Song von David Guetta liebst, dann ist das vielleicht erstmal irgendwie ärgerlich für dich und deinen ach so guten Musikgeschmack. Aber letzten Endes heißt das einfach nur, dass gekonntes und kalkuliertes Songwriting bei dir wirkt.

Psst! Illustration von Christian Heerde für transform

Guilty Pleasures hören da auf, wo wahre soziale Ächtung beginnt

Guilty Pleasures sind auch nicht wirklich geheim. Also wenn dir etwas, das du tust oder konsumierst, ernsthaft und aufrichtig unangenehm ist, dann gibst du das unter keinen Umständen zu, oder? Du kannst damit kokettieren, dass du nicht zu cool dafür bist, die Musik von Taylor Swift zu lieben. Weniger präsentabel wird es allerdings, wenn du zugibst, dass du regelmäßig deine Popel isst oder gerne Softpornos auf Kabel 1 schaust.

Alle sagen immer “Steh zu deinen Guilty Pleasures! Schäm dich nicht für das, was du liebst!”

Das heißt: Guilty Pleasures hören da auf, wo wahre soziale Ächtung beginnt. In meiner Recherche zum Thema fand ich fast ausschließlich Artikel, die einen dazu ermutigen, zu seinen Guilty Pleasures zu stehen. Schäm dich nicht für das, was du liebst!” Es ist ok, wenn du mal was Uncooles magst! Aber das tut doch eh schon jeder?

Wenn eines noch heuchlerischer ist als Guilty Pleasures per se, dann ist es der mediale Umgang damit. Wenn es diese Kategorie von Dingen gibt, die du magst, obwohl sie Mainstream und sowieso fester Bestandteil der Popkultur sind, dann besteht überhaupt keine Notwendigkeit zur Ermutigung.

Diese Guilty Pleasures sind nur ein Konstrukt, das den selbstironischen Umgang mit dem eigenen Konsum ermöglicht.

Wenn du Popmusik magst oder gerne triviale Animes schaust, dann ist das kein heimliches Verlangen, das du unterdrücken musst oder wofür dich dein Umfeld verstößt. Es kann erstmal ungewöhnlich wirken, wenn eine Person sagt, ihre Lieblingsserie ist Breaking Bad, aber wenn sie allein sei, schaue sie Doctor’s Diary. Im Grunde genommen ist das aber genauso spannend, wie wenn jemand denkt, er begehe gerade einen Frevel, weil er zu Hause gern mal Orangensaft direkt aus der Flasche trinkt. Oh wow, ich ruf gleich die Polizei.

Eine perfide Methode, Uncooles zu konsumieren, ist das ironische Konsumieren

Guilty Pleasures sind nur ein Konstrukt, das den selbstironischen Umgang mit dem eigenen Konsum ermöglicht. Du definierst dich letztlich nicht über die Dinge, die allgemein als beliebt gelten, sondern kannst mit deiner uncoolen Coolness betont lässig kokettieren.

Eine andere, meiner Meinung nach noch perfidere Methode, Uncooles zu konsumieren, ist das ironische Konsumieren. Ich möchte niemandem zu nahe treten, wenn ich bei den folgenden Beispielen behaupte, dass sie so schlecht sind, dass ihr sie nicht ernsthaft gut finden könnt. Aber wenn ihr auf Social Media Konzertkarten von David Hasselhoff oder Kinokarten von »Emoji — Der Film« postet und das dann mit ulkigen Bildunterschriften verseht, weil ihr euch das ja nur ironisch angeschaut habt… Sorry, dann kann ich euch auch nicht mehr helfen. Ich meine, ihr gebt ironisch Geld für Scheiße aus?

In Guilty Pleasures steckt ja zumindest noch, dass man die Dinge, die einem unangenehm sind, trotzdem mag. Beim ironischen Konsum verspotten die Leute nicht nur das Medium, sie zelebrieren auch noch ihre Überheblichkeit in der Öffentlichkeit.

In diesem Sinne will ich eine Lanze brechen für Guilty Pleasures! Der Begriff und seine Definition sind zu widersprüchlich, als dass da ein innerer Konflikt mit dem Konsum-Ich dahinter stünde. Das ist Bullshit. Steh zu deinem völlig unverfänglichen Scheiß, machst du doch eh. Das tu ich auch, poste es dann auf Social Media und ernte Likes für #relatable Content.

Es ist total in Ordnung, aber hör endlich auf, deine vermeintlichen Guilty Pleasures mit Brisanz zu übersteigern.


Text: Mihaela Sartori
Illustration: Christian Heerde


Das kannst du jetzt unternehmen

Guilty Eisbrecher
Weil wir alle ja so gerne über Dinge sprechen, die eigentlich uncool sind, aber sie trotzdem lieben, habe ich hier noch ein paar charmante Beispiele, die ihr auf jeder Party als Eisbrecher verwenden könnt. Erfolg garantiert!

»Wenn hier alle Leute weg sind, laufe ich durch die Wohnung und trinke alle angefangenen Bierflaschen aus.«

»Besonders gern schaue ich mir Videos an, auf denen riesige Pickel ausgedrückt werden!

»Ich höre, wenn ich allein zu Hause bin, immer diese Schlümpfe-CDs, wo sie aktuelle Charthits auf Deutsch singen.«

»Ähm…Ich finde Videos, auf denen Tiere Sex haben, irgendwie heiß.«

»Für die Uni lese ich Adorno. Aber privat lese ich schlüpfrige Groschenromane.«

Zum Weitergucken und -hören

»Arbiträre Aggressionen«Podcast von Mihaela Sartori| soundcloud.com

transform 5 LUXUS

Dieser Beitrag stammt aus der fünften transform Ausgabe zum Thema Luxus. Hol dir das gedruckte Heft auf 128 wunderbaren Seiten gleich hier.

Newsletter


Auch spannend
Was wir Arbeit nennen und was nicht