Undercover bei dem Nachwuchs der AfD

Manchmal haben Widersprüche etwas Schönes, Befreiendes. Mein neues Faible für deutschen Gangsterrap zum Beispiel. Eigentlich bin ich ziemlich brav. Mein Musikgeschmack steht in vollem Kontrast zu dem, was andere von mir erwarten. Aber ich finde es gut, aus der Schublade auszubrechen. Andere innere Widersprüche finde ich nicht so klasse. In Deutschland gibt es eine wachsende Zahl Rechtsextremer und rechts-konservativer Sympathisanten. Die AfD sitzt inzwischen im Bundestag und in zehn Landtagen. Wer wählt denn diese Partei?

Es können nur Idioten sein, ist meine erste Reaktion. Ich finde es so unvorstellbar, dass ich mich von den Wählern distanziere, indem ich sie für dumm und asozial halte. Aggressiv werden beim Gedanken an andere Menschen – oha, das klingt eigentlich nicht nach der Art Mensch, die ich selbst sein möchte. Ich verheddere mich in einem Netz aus Widersprüchen: Meine Utopie von einer friedlichen Welt, meine Wahrnehmung der Welt, die Ansprüche an mein Ideal-Ich und meine aktuelle Reaktion gehen kreuz und quer.

Ich versuche die Flucht nach vorn. Ich will sie möglichst unbefangen kennenlernen, diese Sympathisanten, die Rechten. Ich will den Meinungsteppich sehen, aus dem sich die Wählerschaft und Parteimitglieder der AfD hervortun. Also besuche ich einen Stammtisch der „Jungen Alternative“, der Jugendorganisation der AfD.

Nicht die “üblichen Verdächtigen”

Dorthin zu kommen bedarf es etwas Schwindelei. Der Stammtisch sieht sich durch Besuche der Antifa bedroht und gibt den Treffpunkt nicht öffentlich bekannt. Doch nach ein paar Nachrichten und dem strategischen Liken ihrer Facebook-Seite kann es losgehen. Ich gehe mit Herzklopfen zum Lokal. Die Coverstory ist Interesse an Politik und fehlender Glaube an die anderen Parteien. Zum Glück funktioniert es, wenn auch manche mich mit leicht zusammengekniffenen Augen mustern.

Die meisten sind mir tatsächlich ähnlich, zumindest rein äußerlich. Die Mehrzahl der etwa 15 Versammelten ist zwischen 24 und 35 Jahre alt, gepflegt und akademisch. Mehrere Jurastudenten sitzen am Tisch, auch ein Versicherungsberater und zwei Polizisten, doch ich erlebe die Gruppe als heterogen. Es ist kein eingespieltes Team, nicht alle sind immer bei den Treffen dabei. Manche sind wie ich zum ersten Mal dort.

Es scheint fast so, als überschätzt jede Seite die Radikalität der anderen

Im Vorfeld hatte ich mir vorgenommen, jedem eine Chance zu geben. Vielleicht sind sie nicht so rechts wie ich es vermute, sondern nur konservativ. Wie es sich für einen Stammtisch gehört, wird es bald politisch, schnell auch parolig. Die CDU sei nur der Kanzlerinnenwahlverein. Die AfD werde falsch verstanden und denunziert. „Hast du bei der Wahl geholfen?“ „Nee. Man kann hier ja nicht sagen, was man wirklich denkt… Man wird ja immer gleich angegriffen.“ In mir regt sich das Mitleid. Viele wirken so entmutigt und betrogen.

Dann hören wir einen Kurzvortrag zum Thema Tierschutz. Es geht darum, dass bestimmte Hunderassen verboten seien. Beim Kommentar, warum man Listen von Hundeangriffen nach Rassen sortieren könnte, Straftaten aber nicht nach Nationalität, horche ich auf.

Später geselle ich mich zu einem Gespräch, Thema Lügenpresse. Spiegel könne man nicht mehr lesen, ZEIT schon gar nicht. Vielleicht manchmal noch die FAZ oder einzelne Artikel aus der Welt. „Und was lest ihr so?“ frage ich. „Compact und Junge Freiheit“, wird mir geantwortet. „Aber die haben einen rechtspopulistischen Ruf. Man kann die nicht mehr überall kaufen“, wird mir sorgsam warnend zugeraunt. Dafür könne ich in diesen Formaten lesen, wie es wirklich sei; wahre Fakten finden. Dabei sind diese Medien so neutral wie ein Glas Wasser mit Ahoi-Brause (Sorte Cola).

https://youtu.be/WX9NaNyQEtw

Im Vorfeld wurde ich gewarnt, dass ich nirgendwo meine Adresse hinterlassen solle. Hier werde ich wiederum gewarnt, dass man mit AfD-konformen Ansichten oft Streit provoziere. Es scheint fast so, als überschätzt jede Seite die Radikalität der anderen. Meine linken Freunde haben Angst vor Rechten, die neuen Bekanntschaften haben Angst vor Linken. Die Leute um mich am Tisch sind sich alle dem Ruf der Partei bewusst. Sie grenzen sich von Nazis ab, mit Sätzen wie „Na, das ist dann ganz rechts…“, aber außer dem suggerierten „was über uns geschrieben wird, stimmt alles nicht“ höre ich keine Argumente und sehe keine Themen, die die öffentliche Meinung widerlegen würden.

Ich begegne vielen Widersprüchen an diesem Abend

Fast ironisch wird mit dem Image kokettiert. Vielleicht würden sich die Jungen Alternativen hier am Stammtisch am meisten ärgern, wenn man sagen würde, sie seien eine ganz normale Partei, wie alle anderen. Wir kommen zum Thema Ostdeutschland und die verängstigten Gesichter blühen auf. Im Osten, wird mir erklärt, habe man jahrelang unter einer Diktatur gelebt, deshalb würde man dort erkennen, in welch einer Diktatur wir jetzt lebten. Die Lügenpresse hätte aber dem Westen seit Jahren das Gehirn gewaschen. „Die Eltern meiner Freundin sehen jeden Abend die Tagesschau – jeden Abend Propaganda!“ Wenn man in Ostdeutschland mit anderen spreche, würde man nicht sofort angegriffen für seine Meinung. Man könne viel offener diskutieren.

„Offen diskutieren ist wichtig…“, stimme ich zu. „Was machst du denn so? Woher kommst du?“ Mir sitzt ein athletischer Kerl gegenüber, der ganz sympathisch aussieht. „Ich bin neu hierher gezogen, vorher habe ich in Bielefeld studiert.“ „Ah, Nordrhein-Westfalistan… Ich hatte da auch mal ein Jobangebot, wollte aber nicht dorthin wegen all dieser sogenannten ‚Kulturbereicherer‘.“ In meinem Bauch formt sich ein dicker Stein. Der Abend ist schon fortgeschritten, in der unbefangenen Atmosphäre bekomme ich nun nach und nach die volle Breitseite Ausländerfeindlichkeit ab. Über die Türken, die Moslems, Integration…

Ich nehme einen Schluck vom Bier und überlege, ob ich zur Toilette gehen sollte, denn mir wird schlecht. Ich entscheide mich dagegen und frage: „Kennst du denn ein paar Türken, aus der Schule oder so?“ Nach etwas Zögern und einem irritierten Blick kommt „Ja, vom Fußball“ und das obligatorische „Ich habe zwei ausländische Freunde.“ Herzklopfen, die Frage entlarvt mich, doch ich versuche, so naiv wie möglich zu wirken und werte die Antworten nicht. Ich will nicht diskutieren, ich will eigentlich nur zuhören. Doch ab diesem Zeitpunkt werden die Aussagen abgepolstert: Waren es eben noch 90 % der Türken, die immer Stress machen, sind es jetzt nur noch 40 %, die sich nicht integrieren wollen. „Und dann gibt es auch immer welche, die integriert sind. Das ist ja voll ok.“ Integration ist nach ihrer Ansicht auf jeden Fall eine Einbahnstraße. Man habe sich an Deutschland anzupassen.

Es ist nicht alles braune Soße, es ist nicht einmal alles absurd oder falsch

Der Sitznachbar nickt, während wir im griechischen Restaurant sitzen. Ich begegne vielen Widersprüchen an diesem Abend. Wir diskutieren über Tiere, die „Teil unserer Gesellschaft sind“ – aber Ausländern wird das Recht abgesprochen, Teil unserer Gesellschaft zu sein. Wir lebten in keiner Demokratie mehr, aber die Polizei solle besser ausgestattet werden. Die Ausweitung des Jugendstrafrechts bis 21 Jahre gehöre abgeschafft, aber für Hunderassen müsse doch auch eine Unschuldsvermutung gelten. Mehr Volksabstimmungen wären eine Lösung, dann würden sich die Bürger wieder mehr interessieren. Dann aber gäbe es natürlich noch eine Elite, die die Volksinitiativen starte. Eine Elite müsse es immer geben.

Ich höre mir das alles an. Es ist nicht alles braune Soße, es ist nicht einmal alles absurd oder falsch. Einige Probleme sehe ich auch (z.B. warum funktioniert der Verwaltungsapparat des Staates so langsam und fehlerhaft?). Der rote Faden ist das „Dagegen“. Gegen die Medien, gegen die amtierenden Politiker, gegen die unbegrenzte Aufnahme von Flüchtlingen. Aber was sind die Lösungen? Wenn die AfD eines Tages regiert, werde alles besser. Aber inwiefern denn?

Einer der Polizisten fragt mich, ob ich auch schon bei anderen Stammtischen gewesen sei. Ich verneine. „Schade, ich glaube, ich würde mir das gerne mal ansehen. Mal gucken, wer da so sitzt bei der SPD, wie die so ticken.“ „Interessante Idee…“ antworte ich ihm.

Nach zweieinhalb Stunden verabschiede ich mich. Ich habe genug gehört. Zuhause mache ich mir einen Tee namens „Ruhe und Gelassenheit“. Ich suche einen Gegenpol und höre mir das Album der Gangsterrapper Xatar und Haftbefehl an. Hafti singt für mich „Flaschen auf den Tisch / Ich zahle gar nix!“. Da fällt mir auf, dass ich die Zeche geprellt habe. Vielleicht eine unbewusste Fluchtreaktion? Ich radle wieder zurück und zahle beim Kellner mein Essen. Ich möchte der Jungen Alternative nichts schuldig sein.

 

Dieser Artikel wurde in der dritten Ausgabe des transform Magazins gedruckt, welche du hier bestellen kannst. Ausgabe 2 & 3 im Kombipaket sind momentan 15% günstiger.

Beitragsbild: Craig Whitehead

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