Dittsche, dt. Serie

Ode an die Robe – Eine Apologie des Bademantels

Neben dem Jogginganzug, der laut einem gewissen Karl Lagerfeld angeblich ein untrügliches Zeichen sein soll, die Kontrolle über sein Leben verloren zu haben, besitzt wohl nur noch der Bademantel eine ähnlich miserable modische Reputation. Zu Unrecht, findet unser Gastautor.

Ist dann auch noch Frottee im Spiel, darf vom Träger getrost angenommen werden, er beziehe die Vorlagen für seinen Kleidungsstil nicht überwiegend aus GQ, Men‘s Health oder ähnlich anglizistisch klingenden Hochglanzmagazinen. Stattdessen schieben sich Bildzeitung und Dosenbier als Accessoires in die Assoziationskette – danke dir Dittsche! Dabei gibt es kaum ein erhabeneres Kleidungsstück als den Schlafrock – die Perle der Garderobe des untergegangenen Großbürgertums!

 

Von Mann zu Dude

Bei Thomas Mann, in den Buddenbrooks, frühstückt Antonie Grünlich während ihrer ersten Ehe des Öfteren im „Schlafrock aus edlem Stoff“, denn „nichts erschien ihr vornehmer als ein elegantes Negligé […]. Sie besaß drei dieser schmiegsamen und zarten Kleidungsstücke, bei deren Herstellung mehr Geschmack, Raffinement und Phantasie entfaltet werden kann als bei einer Balltoilette.“

Drei Roben zu besitzen ist ein guter Anhaltspunkt für jeden Bohème, man kann jedoch bereits einen einzelnen zu seinem Markenzeichen erheben, wie es der beliebte Schlagersänger Udo Jürgens tat. Die legendären Zugaben des Verstorbenen wurden zu einer Art Tradition, nachdem ihn die Zuschauer bei seinem ersten erfolgreichen Konzert erneut auf die Bühne baten, der Barde sich aber bereits im  Bademantel befand.

Doch die mit Abstand lässigste Art, den Morgenmantel zu einer Ikone guten Stils zu erheben, führte Jeff Bridges in seiner Paraderolle als „Der Dude“ Ende der Neunziger Jahre in „The Big Lebowski“ vor. In der Eröffnungsszene geht die Hauptfigur im Morgenrock einkaufen und schreibt im Supermarkt einen Scheck über 69 Cent für einen einzelnen Karton Milch aus. Eleganter kann man diesem kulturell zu Unrecht kompromittierten Kleidungsstück seine Würde nicht zurückgeben und gleichzeitig der Meritokratie und allen ihren Ambitionspredigern den Mittelfinger zeigen.

 

Der König des Kleiderschranks

Knapp ein Vierteljahrhundert nach den Coen Brothers, in einer WG des Autors, war der Bademantel ebenfalls Requisit. Und zugegeben, das studentische Milieu, in dem wir uns zu der Zeit befanden, hatte sicher kaum kaufkraftmäßige Vorteile gegenüber dem des Dudes. Doch selbstgedrehte Zigaretten im Morgenmantel zu rauchen, kurz nach dem Aufstehen um 13 Uhr an einem Werktag, erschien uns sehr viel würdevoller in einer prachtvollen Frottee-Robe als im profanen Schlafhemd. An Tragekomfort kann es sowieso kaum ein Gewand mit dem Morgenmantel aufnehmen, insbesondere dann nicht, wenn ein abklingender Kater vom Vorabend die delikaten Stoffschlingen noch zärtlicher an die erschöpften Glieder schmiegt.

Ein Bademantel wärmt, trocknet, kleidet und schmückt zugleich.

An solchen Tagen zog man sich am besten gar nicht erst um, denn für ein weiteres, zutiefst deutsches Vergnügen und Mittel der Wahl gegen Muskelverspannungen, prädestiniert sich der Kohlenpott-Kimono ebenfalls: den Saunagang. Ein Bademantel wärmt, trocknet, kleidet und schmückt zugleich, wie es ein unter den Wohlstandsbauch geklemmtes Badetuch allein nicht könnte und macht das Schwitzerlebnis erst zu einem mondänen Akt des Wohlbefindens. Apropos Akt: Der König der Adamskostüme zeigte sich in der Öffentlichkeit textil zumeist deutlich verschlossener als die jungen Modelle, die er für das Centerfold seines Magazins vor die Kamera lockte. Wir sprechen natürlich von Playboy-Boss Hugh Hefner, dessen mediales Selbstbildnis untrennbar mit den dekadenten Roben verbunden ist, die der Lebemann und Papst der freizügig fotografierten Fräuleins zu seinen Audienzen trug.

Es ist daher unverantwortlich vom guten Leben zu sprechen, ohne einen Bademantel sein Eigen zu nennen. Erst wenn die postkapitalistisch denkende Avantgarde sich dessen bewusst wird, kommt die Zeit, in der die Modebranche von ihrem hohen Ross herabsteigen und sich vor dem König des Kleiderschranks verneigen* wird. Eine Lagerfeld-Kollektion an Morgenröcken, präsentiert auf den Laufstegen von Paris, wäre ein Friedensangebot an den Frühstücksfrack sowie ein längst überfälliger Schritt in Richtung Rehabilitation der Robe.

* Alternativ funktioniert frei nach Marx auch der umgekehrte Weg: So lange Bademantel tragen, bis sich das Bewusstsein adaptiert.

 

Gastautor Thomas Reichart stieß bei der Suche nach einem deutschen Pendant zum “Idler” auf transform. Der Untertitel des Magazins (zum Guten Leben) inspirierte ihn zum vorliegenden Text.

 

 

Titelbild: Wikimedia Commons, zeigt Darsteller der dt. Serie Dittsche über ein paar Typen, die sich regelmäßig in einem Imbiss treffen.

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