Konsequenz, da wo’s weh tut

Flugreisen sind klimaschädlich, das ist den meisten Menschen klar. In unserem Verhalten schlägt sich dieses Wissen aber selten nieder. Auch nicht unter denen, die sich sonst so konsumkritisch geben. Im Gegenteil: Gerade grün Gesinnte haben wesentlich mehr Meilen auf dem Konto als andere. Wie kommt das?

Mit „Sieg der Langsamkeit“ war am 27. Juli der Titel eines Artikels in der taz überschrieben, in dem über die erste Weltumrundung im Solarflugzeug berichtet wurde. Endlich! Flugreisen und grünes Gewissen lassen sich doch vereinen! Die Weltumrundung dauerte mehr als fünf Tage, der Schweizer Abenteurer Bertrand Piccard landete mehrfach zwischen und kam trotz einer Flügelspannweite von 72 Metern, besetzt mit 17.000 Solarmodulen, auf eine Geschwindigkeit von bloß 90 Stundenkilometern. Dabei bietet die Solar Impulse 2 Platz für nur zwei Menschen. Sie wird dem beflügelten Massentourismus so bald nichts entgegensetzen.

Schön, wenn es so einfach wäre, den Klimawandel zu begrenzen, ohne Gewohnheiten aufzugeben. Das Beispiel zeigt, wie schwer es ist, unser Verhalten mit Effizienztechnologie nachhaltiger zu gestalten. Dabei gäbe es eine simple Möglichkeit, die Emissionen des Flugverkehrs massiv zu senken: das Fliegen einfach lassen.

Was hält uns davon ab? Diese Frage stellt sich mir jedes Mal, wenn ich über materiell doch recht aufwändige „grüne“ Technologien lese. Warum liegt es für die meisten Menschen so viel näher, den Widerspruch auszuhalten zwischen dem, was wir richtig finden, und dem, was wir tun? Schlechtes Gewissen inklusive.

Gut fürs Gewissen: Nachhaltige Flughäfen und neutralisiertes CO2

Ein möglicher Grund: Den wenigsten ist bewusst, wie schlimm Fliegen tatsächlich ist.„Eine Flugreise ist der größte Klimafrevel, den Sie überhaupt begehen können.“ So beginnt ein Artikel in der Rubrik Aktiv werden auf dem Blog klimaretter.info. Dass Flugreisen keine Strategie ist, um den Klimawandel einzudämmen, ist wohl allgemein bekannt. Doch dass es die klimaschädlichste Aktivität ist, der eine Einzelperson nachgehen kann, ist eine vernachlässigte Tatsache.

Da die Emissionen in großer Höhe entstehen, können sie nicht von Pflanzen abgebaut werden. Sie sind länger in der Atmosphäre und tragen somit länger zur Erwärmung bei. Hinzu kommen Ruß und Wasserdampf, Material- und Flächenverbrauch für Flugzeuge und Flughäfen.

Da auch Solarflugzeuge und Algenkraftstoffe bisher keine annähernd effektiven Lösungen für diese Probleme darstellen, müssen wir uns wohl damit abfinden: Flugreisen auf heutigem Niveau und eine klimagerechte Zukunft – das geht nicht zusammen.

Viele Gewissenserleichterungen helfen uns, den Widerspruch auszuhalten. Die Effizienz der Flugzeuge ist in den letzten 20 Jahren von durchschnittlich 6,3 auf 3,7 Liter Treibstoff pro Person pro 100 km gestiegen. Flughäfen werden nachhaltiger gestaltet, wie z.B. der „Sonnenenergieflughafen“ im südindischen Kochi. Und dann können wir uns ja immer noch vegetarisch ernähren und zu Hause kein Auto fahren (was wenig bringt), uns am Urlaubsort ökologisch und sozial korrekt verhalten oder Freiwilligendienst leisten. Noch einfacher: unsere Emissionen „neutralisieren“, indem wir an umstrittene, ökologische Ausgleichsdienstleister wie atmosfair spenden.

Warum wir es trotzdem tun …

Fliegen ist faszinierend. Menschen überwinden die Schwerkraft, erheben sich über die Wolken – der Traum vom Fliegen ist einer der ältesten der Menschheit. Dazu ist es eine verhältnismäßig günstige und einfache Art des Reisens, wenn man die nötige Infrastruktur mal außer Acht lässt und sich auf den Aufwand für das Individuum beschränkt. Flugtickets sind oft preiswerter als die Bahnfahrt in die Nachbarstadt. So kann ziemlich jede*r der hemmungslosen Fluglust frönen.

Und dann gibt es die vorbildhaften Öko-Prediger, die es selbst nicht schaffen, am Boden zu bleiben. Selbst hochrangige Klimaforscher*innen jetten zu Konferenzen und auch an der Basis des Klimaaktivismus finden sich wenige, die sich in Konsequenz üben. Anerkennung gibt es für die Konferenz in New York mehr als für die in Wuppertal, egal, ob das auch inhaltlich gerechtfertigt ist. So schreibt Klimaforscher Peter Kalmus, dass er wegen des sozialen Drucks drei Jahre gebraucht habe, um das Fliegen aufzugeben.

… es aber lassen sollten:

Echte Abenteurer*innen suchen die Herausforderung. Und wenn die Herausforderung ist, seine Reisen ohne die Nutzung von Flugzeugen zu bewältigen, nehmen wir sie an! Auf dem Landweg nach Indien lässt sich viel erleben. Außerdem muss es nicht immer die weite Ferne sein. Nach der Entscheidung zur Konsequenz beschränkte ich meinen Reiseradius fürs Erste auf Europa und fand: Bergseen und verlassene Strände, Abenteuer ab der Haustür, Trampen statt Touristenfalle. Auch mit dem Flugzeug lässt sich nicht die ganze Welt sehen, nicht alles erleben. Finden wir uns damit ab. Es ist gar nicht so schlimm.

Machen Fernreisen uns offener?

Eine Sache lässt es mir allerdings schwer fallen, wirklich hundertprozentig hinter dem Nicht-Fliegen zu stehen: Die meisten Menschen, die ich faszinierend finde, meine Freunde und reflektierten Hippies und nicht zuletzt ich selbst, wurden unter anderem auf Fernreisen oder in sozialen Austausch- und interkulturellen Arbeitsprogrammen sozialisiert, die ohne Fliegen nur bedingt möglich gewesen wären. Es hat uns zu internationalen Menschen gemacht, die sich unter anderem für Menschenrechte und gegen Nationalismus einsetzen. Mich plagt die Frage: Hätten wir das auch ohne Fliegen werden können? Ist es das, was vielfliegende Grünen-Wähler*innen von CDU/CSU-Anhänger*innen unterscheidet? Dass sie interkulturellgeprägt sind und auf Vernetzung setzen, im Beruf wie privat?

Das Fliegen hält die Erasmus-Generation beisammen, denn 24 Stunden Busfahrt ist uns das Wiederseh-Wochenende in Barcelona dann doch nicht wert. Einspruch! Das Hilfsprogramm in Uganda oder die Shopping-Week in London sind zwei verschiedene paar Schuhe, klar. Aber wer will da Richter sein? Wer will festlegen, wo die Grenze liegt, welches Fliegen gut und welches verwerflich ist? Und überhaupt: Kommt überhaupt jede*r Freiwilligendienstleistende als offener Mensch voller Ideen und Tatendrang für die Zukunft zurück? Interkulturelle Begegnungserfahrungen sind bei der aktuellen politischen Lage, dem Rückfall in Nationalismen und der Angst vor Terror ohne Zweifel dringend nötig. Doch können sie nicht auch ohne einen Flug zustande kommen? Bei einem freiwilligen sozialen Jahr in Rumänien oder noch näher beim Ehrenamt in der benachbarten Geflüchtetenunterkunft?

Eine Frage der Glaubwürdigkeit

Weltweit entscheiden sich immer mehr Menschen gegen das Aushalten des Widerspruchs. Wissenschaftler*innen haben inzwischen erkannt, wie wichtig es ist, dass sie selbst leben, was sie predigen. Peter Kalmus sieht darin eine andauernde Herausforderung auch für seine Karriere, erwartet und hofft aber, dass mit der Zahl der Nicht-Fliegenden die soziale Akzeptanz und Anerkennung zunimmt. Denn den Widerspruch auszuhalten, kann insofern schädlich sein, dass es auch andere davon abhält, sich in Konsequenz zu versuchen. Bahn predigen und Business fliegen sollte daher auch bei Grünen bald überwunden werden.

Es mag unrealistisch sein, einen konsequent ökologischen Lebensstil anzustreben. Aber deshalb müssen wir die Ausnahmen ja nicht bei einer Flugreise machen.

Klimaforscher Kalmus fasst treffend zusammen: „In der heutigen Welt ernten wir soziale Anerkennung für das Verfeuern fossiler Brennstoffe. Wir setzen regelmäßiges Fliegen mit Erfolg gleich. Das ist gestrig: Die Nutzung fossiler Brennstoffe schadet ernsthaft der Biosphäre, unseren Kindern und unzähligen Generationen – und sollte daher als sozial inakzeptabel gelten.“

Noch ist kein großes Lob für die Konsequenz zu erwarten. Doch wir sollten uns in Erinnerung rufen, dass der Mensch über Jahrhunderte seiner zivilisierten Existenz ohne Flugreisen ausgekommen ist. Eine Reise brauchte eben ihre Zeit. Das wäre ein wahrer „Sieg der Langsamkeit“.

»49 Prozent der Grünen-Wähler, so ergab es die Umfrage aus dem Jahr 2014, seien in den letzten zwölf Monaten geflogen. Dagegen waren es bei den Linken nur 42 Prozent, gefolgt von den Sozis mit 32 Prozent. Die Frage, wer noch nie in seinem Leben in die Luft gegangen sei, bejahten bis zu 17 Prozent der anderen Parteigänger, unter den grünen Wählern waren es genau null Prozent. Erklärungen für dieses Phänomen zu finden, ist nicht besonders schwer. Die Grünen sind heute, wie einst die gute alte FDP, die Partei der Besserverdienenden und Hedonisten.«D. Böcking, SPIEGEL ONLINE 2014

 

 

Der Artikel erschien in unserer neuesten, gedruckten Ausgabe zum Thema Widersprüche. Diese kannst du direkt in digitaler oder Papierform bestellen.

 

 

Zum Thema:

Ausreden für’s Fliegen auf dem Prüfstand

Die Moral des Fliegens

CO2-Kompensation: Klima retten mit dem Warenkorb?

 

 

Die Illustratorin Eva Plaputter lebt in Essen, schneidet gerne Papier und hat ein Kinderbuch über Plastikmüll im Meer geschrieben. Sie illustrierte diesen Artikel.

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