Ein 17 Jahre altes Gerät ist die Innovation des Jahres

Wie können wir die Rolle von mobiler Technologie heute beschreiben? Das fragt mich ein riesiger Schriftzug und liefert die Antwort praktischerweise nach Sekunden selbst mit: „Elementar“. Mit diesen großen Worten will die Branche Vertreter der großen und kleinen Anbieter mobiler Technologie und all dem was noch so dazugehört, dieses Jahr zu einer großen Messe nach Barcelona laden.

Die Vertreterinnen und Vertreter der Branche kommen auch, immerhin beläuft sich allein der Umsatz mit Smartphones im Jahr 2016 auf 429 Milliarden US-Dollar. In etwa soviel wie dem also, was in der Schweiz letztes Jahr umgesetzt wurde. Doch das Wachstum auf dem elementaren Markt droht zu stagnieren und die BranchenvertreterInnen hoffen nun auf den nächsten großen Wurf.

Vor 10 Jahren stellte ein amerikanischer Hersteller das erste massentaugliche Smartphone vor. Es veränderte den Markt von Grund auf und vermochte es, bis dahin alteingesessene Hersteller teilweise zu verdrängen. Vor dem Smartphone gab es zwar bereits Handys doch derartige Umsätze kannte man damals nicht in der Branche – es geht hier um eine Verzehnfachung des Potentials. Man spricht hierbei von einer disruption, einer marktumwälzenden Gewalt, wie es selbst Kanzerlin Merkel bereits tut. Und das alles mit einem Handy, das wie ein Computer praktisch alles kann und der Menschheit ermöglicht hat, nun auch unterwegs, in Bus, Bahn oder im Restaurant ständig auf einen Bildschirm starren zu dürfen.

 

Bestimmen Ingenieure über den Fortschritt?

Was ist jetzt der nächste Schritt, fragt man sich. Immerhin sind 10 Jahre vergangen, viel Zeit für eine Industrie, die sich vor nichts mehr als vor einer Marktsättigung fürchtet. Daher ist auch ein Branchenevent wie das im spanischen Barcelona Grund genug für angesehene Tageszeitungen, VertreterInnen zu entsenden. Und das nicht ohne Grund: die technologische Innovation bestimmt schließlich unseren Alltag. Oder nicht?

Sicher. Wer will denn schon der Letzte sein, wenn es einen weiteren Schritt vorangeht. Immerhin dürfte selbst der letzte Smartphoneverweigerer der vergangenen Jahre aufgegeben haben, wenn Mama irgendwann mal fragte, ob man denn jetzt nicht auch mal via Whatsapp erreichbar sei. Die Frage der reellen Chance, sich technologischen Entwicklungen überhaupt noch entziehen zu können, drängt sich also unweigerlich auf. Und ob es nicht klüger wäre, sich die VR-Brille einfach gleich aufzusetzen.

Freilich schafft es nicht jede der Innovationen direkt in den Mainstream. Wir können also aufatmen: dass Ingenieure unser Leben komplett bestimmen und die Gesellschaft all das kritiklos hinnimmt, soweit sind wir noch nicht.

War das bereits der Widerstand gegenüber einer überlegenen Klasse der Digitalisierten, den Cyborgs, wenn man es so will?

Ein populäres Bespiel sind neben den gerade als gefloppt geltenden Smartwatches die als Glasses getauften Brillen mit Datenanreicherung im Sichtfeld, Sprachsteuerung und einer eingebauter Kamera.

Sie wurden 2015 kurz vor ihrer Veröffentlichung schon als gescheitert betrachtet, nachdem sich sogenannte Firstmovers die Brillen aufsetzen um damit ihren Status zu markieren. Der Hersteller vergab damals sein Produkt nur an Auserwählte um einerseits letzte Verbesserungen vor der Markteinführung vornehmen und ein Stückweit Multiplikatoreffekt mitnehmen zu können. Idole aus der Techszene liessen sich nicht zweimal fragen und machten ihre Selfies von nun an mit der neuen Brille. Doch dann kam alles ganz anders: sie mussten sich überraschen lassen, vom Rest der Gesellschaft als sogenannte glassholes bezeichnet zu werden. Was war passiert?

War das bereits der Widerstand gegenüber einer überlegenen Klasse der Digitalisierten, den Cyborgs, wenn man es so will? Oder war hier schlicht die Grenze der allgegenwärtigen Dokumentationstoleranz erreicht, die mit der potenziell ständig mitlaufenden Kamerafunktion der Glasses einhergingen? Man weiß es nicht genau und es spielt auch erst mal keine weitere Rolle. Der Hersteller jedenfalls reagierte prompt und legte seine Brillen erst einmal wieder in die Schublade.

 

Eine marktumwälzende Gewalt

Umso erstaunlicher ist es, dass ein anderer Hersteller dieses Jahr mit einer ganz ungewöhnlichen Innovation den Markt disrupten will. Während andere noch immer nach dem nächsten großen Ding suchen, das den Markt mal wieder so richtig durchwirbelt, legt dieser ein Handy auf den Tisch, das bereits vor 17 Jahren entwickelt wurde. Und tatsächlich schlägt es Smartphones um Längen: sein Akku hält fast einen gesamten Monat, es verhindert die Ablenkung durch ständige Nachrichtenalarme und: es liefert den Spieleklassiker Snake gleich von Werk an mit.

Selbstredend wurde das Gerät bereits am Sonntag vorgestellt, kurz bevor die eigentliche Messe begann. Nichts ungewöhnliches, denn immerhin gehört es zur Tradition in Barcelona die wahren Kracher schon am Wochenende vorzustellen.  Offenbar haben VertreterInnen der Industrie nur wenig Interesse, einen Sonntag einfach so im sonnigen Barcelona zu verbringen und das Risiko einzugehen, eine derartig gefeierte Produkteinführung zu verpassen. Die Medien waren schon vorher ausser sich: Über kaum ein anderes Modell wurde mehr gesprochen. Dass der Hersteller sein Dumbphone nicht repariert und überholt wieder verkauft, dürfte nicht überraschen. Eine neuaufgelegte Version des Klassiker-Handys kommt in fünf Farben zu je 50 Euro ganz neu auf den Markt. Es dürfte daher der erste Trend sein, bei dem man mit einem gebrauchten Gerät zur Avantgarde gehört. Vielleicht sind es eben doch nicht die Ingenieure, die über den Fortschritt bestimmen.

 

Beitragsbild: CC0, pexels

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