Geht echt nicht

Sind technische Innovationen die Lösung von Klimawandel, Hunger und co? Der Europäische Gerichtshof hat eine Entscheidung getroffen, die viele als wissenschaftsfeindlich betrachten. Dabei ignorieren sie selbst einen wichtigen Anteil der Forschung.

Die relativ neue CRISPR/Cas9 Methode zur Veränderung von Erbgut gilt als Gentechnik und bleibt in ihrer Anwendung in der EU somit erst mal verboten. Kritiker*innen behaupten, damit ginge die Chance verloren, die Landwirtschaft nachhaltiger zu gestalten oder besser auf den Klimawandel vorzubereiten. Doch das ist zu einseitig gedacht. Denn Studien zeigen: Die Anwendung von CRISPR/Cas9 könnte unabsehbare Folgen für unser Ökosystem haben.

Deswegen begrüßen viele Umweltverbände die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes. Gentechnik schadet der natürlichen Biodiversität. Invasive Spezies sind nach der „Convention for Biological Diversity“ eine der Hauptursachen für den Rückgang der Artenvielfalt. Studien bezeugen, dass genetisch veränderte Pflanzen (GMO) die biologische Vielfalt in Gefahr bringen. Mit der Einführung von CRISPR/Cas9 steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir Pflanzen züchten, die ihren wilden Konkurrenten weit überlegen sind. Oder, dass künstlich integrierte Gene sich auf natürliche Weise auf ihre wilden Verwandten vererben. Pflanzenarten ohne diesen genetischen Vorteil könnten über lange Zeit unterdrückt werden. Kritiker*innen haben zwar Recht, wenn sie sagen, das sei ein genereller Nebeneffekt der Landwirtschaft. Dennoch hebt die Gentechnik diesen Effekt auf ein anderes Level, von dem wir die langfristigen Auswirkungen auf das Ökosystem nicht abschätzen können.

Biodiversität ist unerlässlich für den Erhalt unserer Ökosysteme

Mit CRISPR/Cas9 lässt sich die DNA von Lebewesen einfacher und gezielter verändern als bisher. Die Methode besteht aus zwei Teilen. Das Protein Cas9 (ein Nuklease Enzym) zerschneidet den DNA-Strang vollständig. Ein RNA-Molekül bindet dann an die Stelle der DNA und dient so als Marker für das Cas9 Protein. An dieser Stelle zerschneidet das Protein in einem weiteren Schritt dann den originalen RNA-Strang. Jetzt kann die gewünschte RNA Sequenz entfernt oder hinzugefügt werden.

Weiter wird kritisiert, dass der Europäische Gerichtshof mit seiner Entscheidung die Forschung einschränke. Denn CRISPR/Cas9 könnte theoretisch von jeder Forschungsgruppe angewandt werden. Die RNA-Moleküle sind recht billig und einfach herstellbar. Das sehen viele Menschen als Vorteil, denn bisherige Methoden sind teuer und aufwendig und werden deshalb nur von größeren Forschungsgruppen oder Unternehmen benutzt. Allerdings ist die Methode in der Europäischen Union weiterhin in der Forschung erlaubt. Somit betrifft das Verbot nur die Verwendung von CRISPR/Cas9 für komerzielle Zwecke. Und das ist auch gut so. Bisher benötigen Institutionen nämlich die Lizenz des Broad Instituts. Eine dieser Lizenzen liegt im Moment bei Monsanto, mittlerweile Bayer, dem weltweit größten Konzern für Agrarchemie. Kein guter Anfang für eine “Methode für alle”.

Wie man es nun dreht, es scheint verwunderlich, dass viele Menschen der Europäischen Union nun wissenschaftsfeindliche Einstellungen unterstellen und gleichzeitig selbst wichtige Forschungsergebnisse ignorieren. Dabei stellt sich auch die Frage:

Warum braucht die Menschheit GMOs?

Eine Studie des INRA Instituts von 2013 zeigte, dass sich eine Befürwortung von GMOs nicht wissenschaftlich stützen lässt. Die Interessen sind meist unternehmerisch. Denn in dem neuen Saatgut steckt viel Geld und an Herbizid-reistenten GMOs verdienen Unternehmen wie Bayer direkt doppelt: erst am Saatgut, dann am Pflanzenschutz.

Weiter zeigt die Studie, dass ertragssteigernde Sorten für die globale Ernährungssicherheit keine große Hilfe sind. Abgesehen davon, dass Hunger kein Problem der Menge sondern ein Problem der Umverteilung ist, wird die Zukunft vielleicht nicht so schlimm, wie sie manche der Kritiker*innen sehen. Nach der aktuellen landwirtschaftlichen Prognose der OECD wächst die Weltbevölkerung in den nächsten 10 Jahren langsamer als bisher und damit auch die globale Nachfrage nach Grundnahrungsmitteln. Auch der Fleischkonsum ist demnach global fast gesättigt. Zwar bleibt der ökologische Fußabdruck hoch, doch würden GMOs dieses Problem nicht lösen. Eine nachhaltige Landwirtschaft muss anders aussehen.

Vandana Shiva erklärte uns im Interview agrarökologische Lösungen aus Indien. Diese sind nicht nur umweltfreundlicher sondern auch resistenter gegen die Veränderungen unseres Klimas. Auch das zeigt die INRA Studie. In Afrika könnten heimische Sorten wie Baobab, Sorghum oder Mango einen wichtigen Beitrag zur Mangelernährung leisten. Natürlich braucht diese zweite Lösung ein Umdenken. Denn eine agrarökologische Praktiken fordern bei gleichem Konsum mehr landwirtschaftliche Fläche und Arbeitskraft. Aber die fällt nun mal nicht vom Himmel. Ohne eine Veränderung in unserem Konsumverhalten wird es schwierig. Der Flächenanspruch tierischer Erzeugnisse ist zu hoch, um unsere Nachfrage nachhaltig zu decken.

Trotzdem, die potentielle Umweltgefahr der Gentechnik bleibt. Deshalb sollten wir uns nicht darauf verlassen, dass diese Innovationen unser Überleben sichern. Wir schaffen das auch so.


Beitragsbild: freestocks.org auf Unsplash

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