Friedenstaubensballom

Fördern Religionen das gute Leben?

Glauben kann moderne Gesellschaften und den Globus spalten. Verschiedenheiten zwischen Christentum und Islam führen noch heute in Deutschland zu heftigen Diskussionen. Aber können Religionen nicht auch anders? Die Bahai meinen: Ja. Sie sind eine „junge“ Weltreligion, die Mitte des 19. Jahrhunderts in Persien entstanden ist. Heute zählt sie knapp sechs Millionen Mitglieder, circa 6.000 davon in Deutschland.

Woran Bahai glauben

„Bahai glauben an einen Schöpfergott, die Einheit der Religionen und eine fortschreitende Gottesoffenbarung.“, sagt Ali Faridi, Dialogbeauftragter der Bahai-Gemeinde Hannover. Das bedeutet: Gott interessiert sich für die Menschen und gibt ihnen Führung. Aber weil es zwischen beiden keine direkte Beziehung geben kann, glauben sie an Vermittler. Diese nennen sie Propheten, Offenbarer oder auch Manifestation. Alle Offenbarer werden nach einer gewissen Zeit durch neue abgelöst. Jeder hat verschiedene Aufträge. Ethische Gebote der vorangegangenen Religionen werden allerdings nicht verändert. Für Bahai sind die unterschiedlichen Religionen eigentlich eine Religion. Es gebe nur einen Gott, sie glauben an eine evolutionäre Geschichte.

Bahai sind der Auffassung, dass Bahaullah die Manifestation Gottes für das Zeitalter der Globalisierung und Pluralität ist. Gebote der Vergangenheit – Religionen sollen sich meiden – haben in ihrer Religion keinen Platz. In den Schriften von Bahaullah gebe es dagegen zahlreiche Appelle, sich um den Weltfrieden zu bemühen.

Zentrale Figuren des Glaubens sind jener Bahaullah und Bab. Beiden gehörten vor 200 Jahren zu einer schiitischen Muslimengemeinde. Bahai führen heute allerdings nur noch wenige Grundmuster des islamischen Glaubens fort.

Der Bahai-Tempel in Haifa, Israel

Grundzüge des Bahaitums

So fasten sie auf ähnliche Art im letzten Monat ihres Jahres, das aus 19 Monaten à 19 Tagen besteht. Der Sonnenkalender beginnt am 20. oder 21. März. Gläubige sollen keine Erwartungen an ihre möglichst selbstlosen Gebete stellen, weil die Bahai Gott als unabhängig sehen. Betende sollen Ruhe suchen. Es ist vorgeschrieben, einzeln und zurückgezogen zu beten.

Die Religion kennt weder Priester noch Geistlichkeit. Denn es gäbe für sie keine speziellen Aufgaben. Im Bahaitum gibt es keine Taufen oder ähnliches. Nur ein Minimum an Rieten wie Totengebete oder Waschungen, die jedes kundige Mitglied durchführen kann. Angehörige sind zur selbstständigen Aufklärung aufgefordert.

Angehende Mitglieder bekennen sich offiziell in einem Schreiben zu Bahaullah als neuester Manifestation Gottes. Sie erklären sich dazu bereit, nach seinen Geboten zu leben. Die Gemeinden überwachen niemanden, aber es gibt Grundsätze. Alkohol ist zum Beispiel verboten. Wer ihn regelmäßig konsumiert, ist für sie kein offizielles Mitglied. Allgemein leben mehr Menschen nach Ansichten der Bahai, als offizielle Zahlen verraten.

Sind die Bahai Vorbilder für den Umgang mit Religion?

Peter Antes beschäftigt sich seit langem mit den Bahai. Er ist Professor für Religionswissenschaft an der Leibniz-Universität Hannover. „Das Bahaitum ist zweifellos die fortschrittlichste Religion“, urteilt er. Die Gleichstellung von Mann und Frau sei ein Alleinstellungsmerkmal. Ihre bedeutsamste Aussage sei die Vorstellung, dass Religionen Wege aufzeigen, aber in einem größeren Spektrum zum selben Ziel unterwegs sind (dies ist ebenfalls Überzeugung z.B. des Neohinduismus). Die Bahai integrieren vorherige Religionen und lassen die Zukunft offen. Religionswissenschaftler sehen das Bahaitum als eigenständige Religion. Das war von Anfang an ihr Anspruch. Die Gemeinde weist zurück, eine Weiterentwicklung der Schiiten zu sein.

Insgesamt wirken die Bahai wohlwollend. Gegen den Iran, wo ihre Mitglieder verfolgt und unterdrückt werden, gehen sie aktiv als NGO mit Öffentlichkeitsarbeit vor. Ansonsten zwingen sie niemandem etwas auf und lehnen Werbung ab. Ein Hauptgrund für die Unbekanntheit der Gemeinde.

In Hannover gibt es seit 1957 eine Gemeinde. Kurze Zeit später hatten die Bahai dort zwischen 50 und 60 Mitglieder, aktuell sind es wenige mehr. In vielen Gemeinden überwiegen iranische Wurzeln. Dennoch ist in jedem Land die Amtssprache für die Bahai ihre Gemeindesprache. Sie sind in Asien, Afrika und den USA präsenter als bei uns. Nach Europa kommen einige für das Studium und gehen anschließend wieder. Insgesamt lebt die Gemeinde quer über den Erdball in kleinen Gemeinden verteilt.

Bahai gehen mit ihrer Herangehensweise Konflikten nicht aus dem Weg, sie heben sie auf. Ein interreligiöser Dialog scheint schwer vorstellbar, wenn andere Glaubensrichtungen vom Bahaitum als Entwicklungsstufen der Vergangenheit angesehen werden. Dabei machen diese Widersprüche den Umgang miteinander aus. Ein gutes Leben ist für alle nur vorstellbar, wenn jeder kompromissbereit ist.

 

Recherche: Wiebke Dierks, Lennart Kühl

Foto Bahai-Tempel: Hans Rusinek

Illustration: Christine Stiller

 

  1. Lieber Lennart,
    ich bedanke mich sehr herzlich bei dir für diesen sehr schön geschriebenen und vor allem gut recherchierten Artikel. Danke für diese hervorragende Arbeit, aus der dein offenes Interesse für verschiedene Religionen und für den unterreligiösen Dialog durch klingt.
    Da sich die Bahá’í Gemeinde in zahlreichen Gemeinden sehr stark für den interreligiösen Dialog einsetzt, in Bremen beispielsweise zwei bis drei Mal pro Jahr in Kooperation mit der Evangelischen Studierendengemeinde gemeinsam Informationsveranstaltungen und Diskussionsforen organisiert, Mit-Initiator der Friedenstunnel-Initiative ist, die jährliche Veranstaltung “Religionen beten für den Frieden” im Rathaus organisiert, zu denen Vertreter von im Schnitt 9 Religionsgemeinschaften beitragen und vieles mehr, finde ich deine letzte Aussage sehr interessant. So habe ich das noch nie betrachtet. Ja, die Bahá’í sehen sich als eine Religionsgemeinschaft an, die die Weiterführung und Erneuerung der zuvor gestifteten Religionen ist. Jedoch erkennen sie die göttliche Wahrheit in jeder der Religionen an und hegen daher keinen alleinigen Wahrheitsanspruch. Im unterreligiösen Dialog können wir viel voneinander lernen und da es den Bahá’í nicht darum geht andere zu ihrem Glauben zu bekehren, sondern Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die gleiche Sache zu gewinnen: Frieden und Einheit in der Welt zu stiften (die in meinen Augen viel wichtigere und drängender Aufgabe), so scheint mir ihr Engagement im interreligiösen Dialog nicht nur als engagiert, sondern auch als sehr aufrichtig. Bitte verstehe diesen Beitrag nicht als Kritik an deinem Artikel, sondern als eine Weiterführung eines interessanten Gedankenaustausches. Herzliche Grüße, Ellie

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