Ethik: Beitagsbild

Ethik-Elite: Der Luxus, zu den Guten zu gehören

Wir wollen alle ein bisschen die Welt retten. Freizeit, Beruf, ja das ganze Leben muss in einen Weltverbesserungszusammenhang eingebettet sein. Ihren Höhepunkt findet diese ethische Selbstverwirklichung für viele aber vor den Warenregalen. Mit der fair gehandelten Banane, den Second Hand-Kleidern und dem veganen Grillgut kauft man sich als Extra das Gefühl, zu den Guten zu gehören.

Wir Weltverbesserer

Mit dem Wunsch nach bewusstem Konsum lässt sich viel Geld verdienen. Das Brillante am Kapitalismus ist die Fähigkeit, aus der Systemkritik konsumorientierte Milieus hervorgehen zu lassen. Der Gegenkultur werden so die Krallen gezogen. Aber das ist nur die alte Gruselgeschichte vom anpassungsfähigen Phönix unserer Wirtschaftsweise. Man muss ja zugeben: Es hat auch was gebracht. Der Kapitalismus ist netter geworden. Immerhin gibt’s jetzt Bio-Obst beim Discounter. Ihre großen Ziele vom ganz anderen, besseren Leben haben die vielen Protestbewegungen aber am Ende nicht erreicht.

Grundkonflikt: Privileg und Moral

Es ist kein Zufall, dass es häufig besonders privilegierte Menschen sind, die nachhaltigen Konsum zu ihrem Ziel erklären. Das liegt einerseits daran, dass bio und fair einfach zu teuer für viele sind. Wer Vollzeit im Supermarkt Regale einräumt oder putzt, hat keine Energie mehr, um sich abends noch selbst einen Schal aus Bio-Wolle zu stricken und im Hinterhof der Mietwohnung kann man auch schlecht Zucchini anbauen. Als Hobby für gestresste Architekten und Ärzte eignet sich das schon eher. Aber kann man einer Putzfrau Vorwürfe machen, wenn sie ihren Schal bei Primark und das Gemüse bei Lidl kauft?

Es kommt darauf an, was die Privilegierten aus ihrer Stellung machen.
Es kommt darauf an, was die Privilegierten aus ihrer Stellung machen. (Flickr Commons: gemeinfrei)

Hier liegt der Widerspruch des linken Moralismus unserer Zeit: Einerseits wollen wir jeden gleichermaßen respektieren, andererseits ist mit moralischen Argumenten der Anspruch verbunden, dass sich andere an unsere Moralvorstellungen halten. Und wenn sie es nicht tun, sind sie schlechte Menschen.

Wir gestehen uns das nicht gerne ein, aber oft wird der eigene moralische Anspruch auch zum Abgrenzungsmerkmal von all den Ungebildeten und Komsumversessennen.

Kittsteiner: Geschichte des Gewissens

Der moderne LOHA ist in dieser Hinsicht auch kein neues Phänomen, sondern nur die jüngste Erscheinungsweise des begüterten Moralisten. Der Historiker Heinz Dieter Kittsteiner beschreibt in Die Entstehung des modernen Gewissens, wie die gebildeten und privilegierten Gesellschaftsschichten sich in den vergangenen Jahrhunderten als „normsetzend“ verhielten und der Idee vom Gewissen seit der Aufklärung einen immer höheren Stellenwert einräumten. Dabei war „die Frage, wie weit sie selbst ihrem Begriff von sich entsprechen, […] kein Gegenstand dieser Untersuchung“ (S. 290).

Der sonderbare Widerspruch ist laut Kittsteiner schon hier zu finden: Zum Einen trauen die Gebildeten dem einfachen Pöbel nicht zu, moralisch denken zu können, zum Anderen aber wollen sie ihn unbedingt erziehen und ans Licht der Moral heranführen. „Volk“ seien gerade diejenigen, die immer alles falsch machen, erklärt Kittsteiner. Diese in ethischen Dingen Unbegabten dienen den feinen Leuten als scheußlich-schönes Negativbeispiel. Man hat Freude an ihrer Unvollkommenheit und kritisiert sie bei jeder Gelegenheit, aber man braucht die Bösen auch, um sich selbst überlegen und gut zu fühlen. In diesem Widerspruch verheddern wir uns auch heute.

Bewegen statt performen

Was ist der Ausweg? Wie kann man ethisch handeln, ohne andere (unbewusst) abzuwerten? Es würde schon helfen, ein Bewusstsein für die eigenen Privilegien zu entwickeln. Dann erscheint der eigene Nachhaltigkeitsanspruch vielleicht nicht mehr als Erlösung, aber er bleibt richtig. Wir sollten uns stets fragen, ob wir mit unserem Handeln etwas bewegen können oder nur nur bei der nächsten Party erzählen wollen, dass wir jetzt nur noch fairen, regional angebauten Bio-Kaffee trinken.

Beitragsbild: @seefromthesky unsplash.com CC Zero

  1. Ich füge hinzu: Eliten, die gerne das “Ende des weißen Mannes” ausrufen oder den Begriff “hetero” nur noch in Wendungen wie “heteronormative Kackscheiße” verwenden. Ich mag weiße Männer und Heteros genauso wie alle anderen auch, solange sie mich genauso respektieren. Aber mit solchen Äußerungen nimmt man halt viele auch nicht mit.

  2. Hallo Jonas,

    ja, Du hast recht: Es ist wichtig, einzugestehen, dass (vermeidlich) moralisches Verhalten häufig einer privilegierten Schicht vorbehalten bleibt. Aber ich denke, der Artikel macht dies zu stark an ökonomischen Privilegien fest. Ja, es ist teurer sich mit Bioprodukten zu ernähren (moralisch besser ist dies aber kaum, da bio nur selten auch öko bedeutet). Vegetarische Mahlzeiten sind hingegen in den meisten Kantinen sogar günstiger. Auch der Verzicht aufs eigene Auto spart handfest Geld. Mir scheint der Traum vom SUV eh mehr und mehr zu einem Traum einer bildungsfernen (und damit weniger privilegierten?) Schicht zu werden. Insgesamt bedeutet ein bewusster und sparsamer Umgang mit Ressourcen wie Strom oder Heizenergie zumeist auch, dass Geld gespart wird. Mich hätte daher interessiert, an was man die hier thematisierte privilegierte Schicht sonst festmachen kann…

    Herzliche Grüße
    Stefan

  3. Hallo zusammen,

    zunächst einmal Lob für den Artikel, er greift eine wichtige Begleiterscheinung des Wertewandels auf und hält den Betroffenen den Spiegel vor.

    Es handelt sich aus unserer Sicht im Moment hauptsächlich um einen Teil der “westlichen” Bildungselite.

    Doch sollte sich diese Bildungselite unserer Meinung nach eins klar vor Augen halten. Ansonsten handelt es sich nur um eine halbherzige Aufklärungsabsicht.

    Moral und Ethik waren bisher hauptsächlich dem Diskurs ausgesetzt, und wurden in der Philosophie und Religion bis ins Kleinste ausdifferenziert.

    Doch heute befinden wir uns einem Zeitpunkt der Geschichte, an dem dieser Diskurs keine Rolle mehr spielt. Denn im Grunde genommen stellt sich nicht mehr die Frage was „falsch“ oder „richtig“ ist, was den Diskurs über Moral erst möglich macht.

    Denn die Nachricht, das wir die Grenzen des Wachstums erreichen, die Belastungsgrenzen unseres Heimatplaneten Erde dabei sind zu überschreiten, verbreitet sich durch das Internet so schnell bis in den letzten Winkel der Erde, dass in der zeitgenössischen Philosophie bereits von einer Synchronität gesprochen wird.

    Diese hat eine Art “transzendentalen” Abgleich des Bewusstseins der Menschen zur Folge und hiervon sind alle “Gesellschaftsschichten” in allen Ecken der Erde betroffen. Bald gibt es keinen Menschen mehr der nicht den Klimawandel und die Folgen kennt.

    In diesem Moment stellt sich dann nicht mehr die Frage was “falsch” oder “richtig” ist.
    Denn jedem wird klar was unser bisheriges Handeln bewirkt hat. Vor allem das Handeln, welches durch die Gier nach Besitz und Freiheit entfesselt wurde.

    Deshalb entfallen mit jedem Tag an dem sich die Nachricht verbreitet, Zug um Zug, die Kategorien von “richtig” und “falsch”.

    Sie werden zwangsläufig durch Taten ersetzt die das Überleben ermöglichen. Reiner Pragmatismus also.

    Und das was Ihr tut ist eine von vielen Taten die dazu beitragen, dass wir überleben.

    Viel Glück und Erfolg!
    und grüße aus dem Morgenland ;)

  4. Hallo Jonas,

    ich kann mich mit dem Artikel wenig identifizieren und ich denke, dass hier zu sehr über einen Kamm geschert wurde. Sicherlich gibt es diese beschriebenen LOHAS, aber es gibt auch Menschen, wie mich zum Beispiel, die auch, wenn die Kasse knapp sein sollte, nicht darauf verzichten, bio, fair und sozial zu handeln. Ich finde wir sollten keine Gruppen verdammen, die es sich bio, fair und sozial nicht leisten können. Jedoch denke ich auch, dass ein “sich Etwas nicht leisten können” vor allem mit den eigenen Prioritäten zusammenhängt. Sicherlich gibt es Gruppen, die selbst wenn sie wollten, diese Art von Lebenseinstellung nur schwer realisieren könnten, aber es gibt eben auch andere. Eines gilt jedoch: Egal wie wenig man zur Verfügung hat oder wie wenig man von der Thematik überhaupt weiß, man hat die Möglichkeit mit seiner Stimme was zu verändern. Wenn ich mir keinen Ökostrom (der ja nicht mal teurer ist als herkömmlicher Strom) oder keine nachhaltigen Lebensmittel leisten kann, dann sollte ich nicht verbittern, sondern mich mit denjenigen zusammentun, denen es genauso geht und dafür kämpfen, dass bio, fair und sozial bezahlbar wird. Mir fehlt das Engagement unter den Nicht-LOHAS und die Kritik an den “Gutmenschen”, “Weltverbesserern” und “LOHAS” wird für meinen Geschmack insgesamt zu laut. Es gibt viel zu viele Gruppen, in die wir uns aufteilen und somit immer weiter voneinander abgrenzen, anstatt dabei die Gemeinsamkeiten zu sehen, die wir vielleicht doch auch haben.

    Liebe Grüße,
    Jule

  5. Die statistische Wahrheit lautet (auch wenn ich die Quellen gerade nicht zur Hand habe):
    Die so genannten Geringverdiener verursachen im Vergleich zu den Gutverdienenden deutlich weniger CO2 und haben einen kleineren ökologischen Fußabdruck / Rucksack etc. – einfach weil sie angesichts ihres begrenzten Budgets weniger konsumieren können. Sie leben also in Wahrheit nachhaltiger als die Besserverdienenden. Höheres Einkommen geht in der Regel einher mit deutlich größerer Wohnung / Haus, höherem Energieverbrauch, größerem Auto, mehr Flugreisen,…
    Da kann man noch so viel Fairtrade-Kaffee trinken, um das zu kompensieren…
    Daher ist es völlig angemessen und kein Grund zur Überheblichkeit, wenn die, die es sich leisten können, den Aufpreis für faire, biologische und nachhaltige Produkte zahlen.

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