Cooles Kind. (wahrscheinlich ohne Gentechnik zur Welt gekomen), Sharon Garcia, CC0, unsplash
Cooles Kind. (wahrscheinlich ohne Gentechnik zur Welt gekomen), Sharon Garcia, CC0, unsplash

Das makellose Kind

Rasanter Fortschritt in der Biomedizin macht eine Welt vorstellbar, in der genetische Krankheiten vor der Geburt im Labor „korrigiert“ werden. Manche warnen nun vor Menschenzüchtung, der Drang zum optimierten Kind indes ist alt. Ein Blick auf Machbares, Undenkbares und Kommendes.

Welle des Entsetzens: Bei einer künstlichen Befruchtung „korrigierten“ ForscherInnen in Oregon Anfang 2017 den Gendefekt des Samenspenders. Dank des Eingriffs der WissenschaftlerInnen ins Erbmaterial des Vaters bestand bei der Mehrzahl der Embryonen kein Risiko mehr auf erblich bedingte Herzmuskelschwäche. Das kaputte Gen war bei ihnen umgeschrieben worden. Die Embryonen waren nun ein Mischprodukt von Samenspender, Eizellspenderin – und einem Quäntchen Erbgut aus dem Labor. Möglich machte das eine brandneue „Genschere“ mit dem kryptischen Namen CRISPR.

Chronologie der Gentechnik. Klicken zum Vergrößern. Illustration: Theresa Lettner
Chronologie der Gentechnik. Klicken zum Vergrößern. Illustration: Theresa Lettner

Das Experiment – ein gefährliches Spiel mit der Substanz menschlichen Lebens, wie KritikerInnen sagen? Vor dem „Menschen als genetisch verändertem Organismus“ warnt der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock. In eine Gebärmutter eingesetzt wurden die „verbesserten“ Embryonen jedenfalls nicht: Nach fünf Tagen wurde ihre Entwicklung gestoppt. „Ein eindrucksvolles Beispiel für gesellschaftsvergessene Forschung“, urteilt die Medizinethikerin Christiane Woopen im Südwestrundfunk. Der Begriff „Designerbaby“ wird zwar vermieden. Doch die jüngsten Errungenschaften in der Keimbahn-Manipulation, also einer Veränderung des Erbguts, die über Generationen erhalten bleibt, treiben die Gesellschaft an verschiedene Ufer. Wollen wir das? Sollten wir das?

Ja, sagt die eine Seite. Schließlich dienen die Versuche dem Wohlergehen künftiger Kinder. Die Chance, immer mehr Menschen gesunde Leben führen zu lassen, sei zu vielversprechend, um sie nicht zu ergreifen. Rein theoretisch ließen sich eines Tages zahlreiche genetische Krankheiten komplett vermeiden. Eine Menschheit ohne Mukoviszidose, Sichelzellenanämie, Bluterkrankheit – die technischen Möglichkeiten nicht auszunutzen, wäre unverantwortlich. Ob wir sie nun schon haben oder erst entwickeln müssen. Immerhin hat die moderne Reproduktionsmedizin schon vorher, oft gegen starken Widerstand, viele Türen aufgestoßen.

Nein, schallt es vom anderen Ufer: Wo in die Gene eines Menschen eingegriffen wird, kann schnell einiges schiefgehen. Auch vermeintlich geringfügige Manipulationen können unvorhersehbare Folgen haben – die sich zudem womöglich erst nach Generationen
äußern. Die Gefahren einer Gentherapie seien selbst gegenüber den Risiken von Erbkrankheiten zu hoch. Vergleichbare Versuche sind daher in Deutschland verboten. Obendrein öffne die neue Technik ein Fass ohne Boden: Was, wenn irgendwann alle Gendefekte als „vermeidbar“ gelten und sich alle werdenden Eltern in der Pflicht sehen, unbeschränkt ins Genom ihres Nachwuchses einzugreifen? Wie stark wäre wohl die Diskriminierung von Menschen
mit Behinderung, wenn die genetische Optimierung von Menschen zur Regel würde?

Chronologie der Gentechnik. Klicken zum Vergrößern. Illustration: Theresa Lettner
Chronologie der Gentechnik. Klicken zum Vergrößern. Illustration: Theresa Lettner

Das Gewässer zwischen beiden Ufern ist trübe, der Graben breit. Beim Hineinwaten schmücken Seerosen die Oberfläche und verdecken die volle Tiefe der Debatte. Schon Monate vor dem Baby-Yoga und Jahre vor dem Klavierunterricht gibt es Mozart auf die Fötus-Ohren. Alle wollen doch nur das Beste! Und tatsächlich: Die lebenslange pränatale Prägung ist weitgehend bewiesen, also der Einfluss von Umweltfaktoren während der Schwangerschaft auf die Entwicklung des Kindes bis ins Erwachsenenalter. Ernährt sich die Schwangere ungesund,
gibt es auch häufiger ein dickes Kind. Über Veränderungen am Erbgut, bei denen bestehende Gene sozusagen ein- oder ausgeschaltet werden, vererbt sich das sogar an die Kindeskinder weiter. Aktiv Eingreifen in die Gene des Kindes durch gesteuerte, pränatale Prägung? Ist längst von allen akzeptiert. Weiter im Watt.

Wir sind heute Meilen und viele Nobelpreise weiter als 1953, als die Wissenschaft den neuentdeckten Träger von Erbinformation auf die drei Lettern „DNA“ abkürzte. Wir können schon längst Gemüse genetisch verändern, mäßig erfolgreich Schafe klonen, und jeder Schwangeren das Ergebnis ihrer neun Monate in Wahrscheinlichkeiten und Szenarien weissagen. Künstliche Befruchtung, Eizell- oder Samenspende, Leihmutterschaft, gar eine künstliche Befruchtung mit drei Eltern sind medizinisch-technische Antworten auf Familienfragen des 21. Jahrhunderts. Manches davon ist hoch kontrovers, nicht alles ist überall legal. Für Leihmutterschaften etwa müssen deutsche BürgerInnen ins Ausland reisen. Das „Anmieten“ eines fremden Körpers für die Dauer der Schwangerschaft hat der deutsche Gesetzgeber aus ethischen Gründen untersagt. Doch Adoptionen kommen für viele Paare aus unterschiedlichen Gründen nicht in Frage. Mehr noch: Ihre Zahl hat sich in den letzten 20 Jahren halbiert. Ein Grund sind auch die gewachsenen Möglichkeiten, leibliche Kinder zu bekommen. All die Methoden und Prozeduren schwappen den Strom entlang und geben der Brühe unheimliche Dynamik.

Dokumentationsfilm, ARD, 2013

Wir sind heute Meilen und viele Nobelpreise weiter als 1953, als die Wissenschaft den neuentdeckten Träger von Erbinformation auf die drei Lettern „DNA“ abkürzte. Wir können schon längst Gemüse genetisch verändern, mäßig erfolgreich Schafe klonen, und jeder Schwangeren das Ergebnis ihrer neun Monate in Wahrscheinlichkeiten und Szenarien weissagen. Künstliche Befruchtung, Eizell- oder Samenspende, Leihmutterschaft, gar eine künstliche Befruchtung mit drei Eltern sind medizinisch-technische Antworten auf Familienfragen des 21. Jahrhunderts. Manches davon ist hoch kontrovers, nicht alles ist überall legal. Für Leihmutterschaften etwa müssen deutsche BürgerInnen ins Ausland reisen. Das „Anmieten“ eines fremden Körpers für die Dauer der Schwangerschaft hat der deutsche Gesetzgeber aus ethischen Gründen untersagt. Doch Adoptionen kommen für viele Paare aus unterschiedlichen Gründen nicht in Frage. Mehr noch: Ihre Zahl hat sich in den letzten 20 Jahren halbiert. Ein Grund sind auch die gewachsenen Möglichkeiten, leibliche Kinder zu bekommen. All die Methoden und Prozeduren schwappen den Strom entlang und geben der Brühe unheimliche Dynamik.

Also: Die Natur walten lassen, mit allen Risiken und Nebenwirkungen? Oder die menschliche Fortpflanzung im Labor perfektionieren? In der aufgeschäumten Diskussion fällt kaum mehr Licht auf die Anfänge und Sedimente einer seit jeher stürmischen Debatte. Ewig ist es her, dass Schwangere noch geröntgt wurden. Bei medizinischer Versorgung kannte das Innovationszeitalter keinen Halt. Ultraschall, Fruchtwasserpunktion und Hormon-Analysen kamen schnell in den verwinkeltesten Ecken an. Gleichzeitig wurde im Vorsorgesystem der Begriff „Risikoschwangerschaft“ kultiviert, der heute in Deutschland auf gut drei von vier Fällen angewandt wird. Viele werdende Eltern wollen immer früher immer mehr über ihre Nachkommen erfahren. Und dürfen das im Großen und Ganzen auch.

Fast vergessen sind der Schlick und Schlamm im tiefen Flussbett der Debatte. In den Siebzigern eröffneten erste Beratungsstellen für Familien mit Erbkrankheiten. Immer mehr setzten sich damals Risiko und Prävention als Leitmotive in der Schwangerschaftsvorsorge fest. Präventiv gehandelt wurde – auch mangels Therapiealternativen – allerdings häufig in Form von Abtreibungen. Die frühesten Maßnahmen der pränatalen Diagnostik würden heutzutage als behindertenfeindlich und diskriminierend gelten. Und doch haben wir auch heute, was die genetische Ausstattung unseres Wunschkindes angeht, kaum andere Werkzeuge zur Hand als die harte Entscheidung zwischen Leben und Nicht-Leben.

An der Wasseroberfläche wabern neue Wellen. Hier fällt mehr Licht hin, aber klar ist das Wasser nicht. Bei Vorsorge und Beratung ist mittlerweile „Ergebnisoffenheit“ vorgeschrieben. Trotzdem entscheiden sich auch heute neun von zehn Schwangere bei der Diagnose Trisomie 21, dem Down-Syndrom, für einen Schwangerschaftsabbruch. Künstliche Befruchtungen ermöglichen durch genetische Screenings ohnehin die gezielte Auswahl von Embryonen nach genetischen Merkmalen. Seit 2011 ist in Deutschland diese „Präimplantationsdiagnostik“ unter gewissen Auflagen erlaubt. Aber ist das wirklich schon Formen und Gestalten nach Wunsch, oder stumpfes Aussortieren?

Die Böschung hinauf wartet die eigentliche Revolution. CRISPR werde alles verändern, da sind
sich Forschung und Ethikkommitees ziemlich einig. Das jüngste Experiment in Oregon ist ein Beispiel: Alles soll reparierbar werden. CRISPR ist potentiell eine Allzweckwaffe in humangenetischen Fragen. Selbst Krebs- und Aidstherapien wurden schon vielversprechend erprobt – vor wenigen Jahren noch undenkbar. CRISPR fußt auf einem Schutzmechanismus gegen Viren, der in Bakterien entdeckt wurde. Überlebt ein Bakterium eine Virusattacke, speichert es Genstränge des Angreifers in einer Art genetischem Gefahrenschrank. Will der gleiche Virus erneut sein Erbgut in die Zelle einschleusen, erkennt das Bakterium die virale DNA wieder und zerschneidet sie – mit CRISPR. Dieser Mechanismus lässt sich im Labor nutzen: ForscherInnen teilen CRISPR zunächst mit, welches Gen an welcher Stelle zu schneiden ist. Mit hoher Treffsicherheit lassen sich dann Teile von Genen oder ganze Gene ausschneiden und gegebenenfalls in korrigierter Version ersetzen.

Chronologie der Gentechnik. Klicken zum Vergrößern. Illustration: Theresa Lettner
Chronologie der Gentechnik. Klicken zum Vergrößern. Illustration: Theresa Lettner

Aber ganz so einfach funktioniert Genetik natürlich nicht. Die allermeisten körperlichen Merkmale basieren auf der Kombination mehrerer Gene. Für „Designerbabys“ – also Kinder mit künstlich erzeugten Merkmalen jenseits denen der Eltern – müsste noch eine Menge Wasser den Fluss hinunterlaufen. Für den Wechsel von Goldlöckchen auf Schneewittchen müssten wir zunächst die volle Gen-Kombination verstehen. Realistischer wäre die Korrektur einzelner Fehler innerhalb von Genen, sogenannte Punktmutationen. Die Bluterkrankheit etwa gründet auf einem einzigen falschen Buchstaben im kompletten Genom der betroffenen Person – ein Buchstabe von 3,27 Milliarden. Mit einem CRISPR-Verfahren wie in Oregon ließe sich die Mutation korrigieren und die Vererbung der Krankheit verhindern.

In vielen Reproduktions-Laboren weltweit blubbert der medizinische Fortschritt. Noch aber bewegt sich die Debatte um CRISPR und Gen-Editing an menschlichen Embryonen irgendwo zwischen Science Slam und Science Fiction. Die Debatte darum, wie viel Formen und Gestalten des eigenen Nachwuchses erlaubt und erwünscht ist – und inwieweit sich die Gesellschaft dabei einmischen darf – ist jedoch uralt. Bei dem aktuellen technischen Fortschritt bleibt den VertreterInnen beider Ufer nichts anderes übrig, als sich über den brausenden Disput zu verständigen. Und der ist wichtig. CRISPR ist der junge Hüpfer, der endlich ins Wasser springen will, aber zurückgehalten wird – zu gefährlich könnten die Wellen sein, die er dabei auslöst. Die technische Revolution könnte beide Ufer überfluten und den Disput um pränatale Prägung, Fruchtwasserpunktion und Präimplantationsdiagnostik auf den Kopf stellen: In Zukunft könnten wir vorab per Korrekturschere sicherstellen, dass Kinder ohne die genetischen Defekte ihrer Eltern geboren werden. In eine Welt, in der immer mehr Menschen ein gesundes, langes Leben führen können. Ist die CRISPR-Methode erst sicher und vor allem legal, wird sie nicht aufzuhalten sein.

Was aber wird die Gesellschaft von Morgen und von Übermorgen als genetischen Defekt erachten – vielleicht schon eine Sehschwäche? Und ist eine gesellschaftliche Norm vorstellbar, die den Nachwuchs per CRISPR vor Herzmuskelschwäche und Albinismus bewahrt? Damit die Schreckensfantasie „Menschenzüchtung“ vom dunklen Grund nicht an die Oberfläche treibt, müssen der Technologie enge Grenzen gesetzt werden. Wir sind auf einem guten Weg dahin, solange wir immer wieder das brausende Gewässer durchwaten, Brücken der Verständigung zwischen den Ufern schaffen und auch mal einen Blick unter die Oberfläche wagen.


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Text Lennart Kühl & Jonathan Steinke // Illustration Theresa Lettner



Dieser Artikel wurde in der vierten Ausgabe des transform Magazins gedruckt, welche du hier bestellen kannst.

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