Arbeit die glücklich macht

Wie werden wir in Zukunft leben? Wer sich diese Frage, und jene nach der Transformation der Gesellschaft stellt, kommt um eine andere Frage nicht herum: Wie werden wir in Zukunft arbeiten?

Die Analysen der Gegenwart münden hierbei häufig in Prognosen, wie sie Dr. Ragnar Willer bei der Konferenz „Arbeitszeit ist Lebenszeit“ am 5. November 2015 in Hamburg  vorstellte: Die Arbeitswelt der Zukunft ist vielfältig, komplex, chaotisch, aber transparent, ohne viel Sicherheit, dafür geprägt von Freiheit. Sie ist flüchtig, die Hierarchien flach, die Möglichkeiten unbegrenzt.

Ohne viel Sicherheit, dafür geprägt von Freiheit.

Klar ist dabei besonders eines: Arbeitszeit und Lebenszeit werden nicht mehr klar zu trennen sein. Und deshalb sollten wir keine Energie darauf verschwenden, es zu versuchen.Um in einer (Arbeits)Gesellschaft wie der beschriebenen überleben zu können, ja gar die Möglichkeiten als Chancen zu begreifen und die Freiheit nicht als Unsicherheit zu empfinden, ist das Individuum gefragt.

Treibstoff der Zukunft: Die Kreativität.

Der_die Einzelne muss achtsam und neugierig sein, sich auf andere einlassen, aber sich auch abgrenzen können. Denn als Ressource begriffen ist allein der Mensch fähig, den vielbeschworenen Treibstoff der Zukunft zu produzieren: Die Kreativität. Die Anforderungen, die an das Individuum gestellt werden, wachsen genauso wie die ihm auferlegte Verantwortung. Der Durchschnittsmensch muss für diese unumgänglich erscheinende Zukunft trainiert werden, so die These.

Die Qualität der Arbeit als Teil der Eigenverantwortung

Downshifting, Cult of Less, Flow, Happiness und Identitätsarbeit sind die Statussymbole der Zukunft, in der der Mensch sich um sich selbst zu kümmern hat.

Denn auch in der Arbeitswelt der Zukunft zählt Erfolg.

Gudrun Nolte-Wacker zeigt auf, wie eine solche Umgestaltung der Arbeitswelt zwar zu mehr Freiheit, aber auch zu einer neuen Art von Erfolgsdruck führt. Denn in der Arbeitswelt der „nächsten Gesellschaft“ herrschen die Prinzipien von Vertrauen und Eigenverantwortung. Durch Feelgood-Management wird die Identifikation mit dem Unternehmen gestärkt. Die Ziele des Unternehmens werden zu persönlichen Zielen und schaffen so eine Situation besonders effizienter Selbstausbeutung. Denn auch in der Arbeitswelt der Zukunft zählt Erfolg. Also doch eher interessierte Selbstgefährdung als Raum für freie Ineffektivität?

Sozialisiert in einer von Arbeit geprägten Gesellschaft geht keiner der Konferenzteilnehmenden davon aus, dass Menschen nicht arbeiten wollen könnten. Denn wer heute nicht arbeitet, ist ausgeschlossen von gesellschaftlicher Teilhabe und daher selten “Opfer von Depression.” Dabei wäre doch gerade die bewußte Entscheidung zu ökonomisch irrelevanter Beschäftigung durchaus eine schätzenswert Alternative angesichts der ökologischen Notwendigkeit geringerer Produktion.

Doch der Lebenssinn wird, anders als in der industriellen Arbeitswelt, immer mehr in der Arbeit gesucht. Genauer: In der monetär aufgewogenen Erwerbsarbeit. Und während einige akademisch geprägte Office-Worker und Kreative diese auch finden, bleibt Pflegekräften oder Logistikangestellten nur die in der unfreien Zeiteinteilung zementierte Entfremdung. Für sie gibt es (bisher) kein Feelgood-Management. Ihr Arbeitsplatz ist kein (Business) Playground.

Doch auch in der Feelgood-Welt ist nicht alles eitel Sonnenschein. Denn weil es keine Täter gibt, keine hierarchischen Strukturen, sondern verinnerlichte Anforderungen und durch soziale Anerkennung gesteuerte Arbeitsmotivation, gibt es auch keinen Streik gegen die Vereinnahmung des Lebens durch die Arbeit. Das Individuum ist zu sehr mit sich selbst und der persönlichen Optimierung beschäftigt, als dass es frei wäre für eine Revolution mit dem Ziel besserer Arbeitsbedingungen für alle.

Erst wenn der Körper streikt und die Produktivität beeinträchtigt ist, beginnt ein Umdenken, indem jedoch wieder nur das Individuum lernen soll, besser mit seinen Ressourcen hauszuhalten. Und auch wenn es den Feelgood-Manager_innen durchaus ernst zu sein scheint mit dem Wohl des_der Mitarbeiter_in: Letztlich wird ihre Existenz als institutionalisiertes Gutmenschentum auch legitimiert durch ökonomischen Erfolg. Denn zufriedene Mitarbeiter bleiben länger im Unternehmen, finden schneller informelle, kreative Lösungen. Der Selbstzweck des_der zufriedenen Mitarbeiter_in wird in Nebensätzen wie „besonders wichtig für Unternehmen, die auf Wachstumskurs sind“ entlarvt als Mittel zum Zweck höherer Produktivität.

Dem Wachstumszwang selbst entzogen

Doch es gibt auch Unternehmen, die überzeugend eine andere Unternehmenskultur leben: In den Hamburger Unternehmen Biobob etwa oder Premium-Cola geht es nicht um Effizienz oder Produktivität. Hier werden mitunter auch Schichten überbesetzt, um ein entspanntes Miteinander zu garantieren. Der Unternehmer Jonas Puschke-Rui (Biobob) und der als Business-Buddha bekannte Uwe Lübbermann (Premium) leben aufrichtige Großzügigkeit und verändern damit mehr, als es ein Feelgood-Management könnte. Sie sind Vorbilder der Menschlichkeit und widersetzen sich bewusst dem (äußeren und inneren) Wachstumsdrang, um sich selbst treu zu bleiben.

Die Frage nach der Unternehmenskultur und den gelebten Arbeitsbedingungen ist die eine Frage. Eine tiefer liegende ist die nach dem Unternehmenssinn, so Unternehmensphilosoph Dominic Veken. Denn auch ein verspieltes, informelles Arbeitsumfeld kann im Zweifel nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in den meisten Unternehmen darum geht, etwas zu verkaufen. Und dass es in diesem Kontext Stress bedeuten muss, nach Sinn zu suchen. (Wobei es schon einen feinen Unterschied macht, ob Obst in Büros oder Waffen nach Saudi-Arabien geliefert werden). Eine Putzkraft in einem Krankenhaus, die die Wichtigkeit ihrer Arbeit für die Gesundheit und das Überleben von Menschen erkannt hat, kann ihre Arbeit mit mehr Freude ausführen als ein Marketingchef, dessen Aufgabe die reine Absatzsteigerung ist.

Auch ein Energiekonzern kann mit Kernkraft die Welt verändern wollen.

Laut Veken müssen Unternehmen zukünftig, um ökonomisch erfolgreich und attraktiv für Fachkräfte zu sein, eher Bewegungen gleichen. Sie bedürfen eines Corporate Spirits, eines weltverändernden Moments. Diese Vision muss seiner Ansicht nach aber nicht unbedingt weltverbessernd motiviert sein, und so nennt er als Beispiele Starbucks oder die otto group.Diese Argumentation ist gefährlich: Denn auch ein Energiekonzern kann mit Kernkraft die Welt verändern wollen, und damit großen gesellschaftlichen Schaden anrichten. Nicht immer ist die Unterscheidung in gut und böse natürlich so leicht wie in diesem Beispiel.

Manche Zukunftsvisionen dagegen erweisen sich erst mit der Zeit als gefährlich: Henry Fords Ambition, jedem Menschen ein Auto und damit Mobilität zu ermöglichen, war zu Beginn sicher nicht rein ökonomisch motiviert. Doch lässt sich die Richtung schwer ändern, wenn auf Basis dieser Vision erst einmal ein global agierendes Unternehmen mit hohen Kapitalanlagen geworden ist und die einst noble Vision als umgesetzte Realität gesellschaftlich und ökologisch mehr schadet als nützt. In einer solchen Situation wird das Feelgood-Management schnell zum Feigenblatt, das die Obsoleszenz des Firmensinns kaschiert.

Vielleicht wäre das effektivste Feelgood-Management eine geringere Wochenarbeitszeit für alle. Es müsste sich auch nicht der Kritik stellen, der Fokus auf das gute Leben der Einzelnen wäre nur Mittel zum Zweck für höhere Produktivität und Effizienz, denn es lässt die Identifikation mit dem Unternehmen offen. Der Mensch wäre freier, die Frage danach, wofür er lebt, auch außerhalb der Erwerbstätigkeit und damit der kapitalistischen Verwertungslogik zu beantworten.

Die Zukunft ist wie wir sie gestalten.

Dabei sollten wir nicht vergessen, dass trotz aller Prognosen die Zukunft noch nicht ist, sondern sein wird, wie wir sie gestalten. Wir sollten uns nicht zu getriebener Reaktion verleiten lassen, sondern souverän und aufrichtig am Wohl des Menschen orientiert vorgehen.

Denn letztlich geht es gar nicht um die Trennung von Arbeit und Leben, sondern um die Frage, ob wir die erlebte Zeit als sinnvolle, erfüllte, selbstbestimmte Zeit erfahren, oder das Gefühl haben „der Zeit hinterher zu laufen“, getrieben zu sein. Dabei könnten wir auch bei der Sprache beginnen. Denn wie oft geben wir an, „keine Zeit für etwas zu haben“, während wir aufrichtiger Weise zugeben müssten, unsere Prioritäten anders gesetzt zu haben. Als Individuen, und als Gesellschaft.

Auch ein derart ehrliches Eingeständnis würde uns aus der passiven, reaktionären Opferrolle befreien und uns hinterfragen lassen, ob wir in einer Welt Leben wollen, die derart viel egozentrierte Selbstreflexion und -disziplin erfordert, wie von Ragnar Willer beschrieben. Denn damit stellt sich auch die Frage, wie dieser Fokus auf das Individuum die Gesellschaft formt, und diese vielleicht auch egoistischer macht. Letztlich müssen Zukunftsprognosen keinesfalls als gegeben hingenommen werden: Sie können auch Antrieb für gezieltes Entgegenwirken sein.

 

DSC_0511__Autorin Ronja Hasselbach besuchte die Konferenz “Arbeitszeit ist Lebenszeit” in Hamburg. Sie hat eine Philosophieaffinität, ist Liebhaberin von Wortmalereien und wundert sich gern über Zeit und Menschen.

 

Titelbild: (cc) Ryan McGuire

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