Ausreden fürs Fliegen auf dem Prüfstand

Das Geburtsjahr der Billigflieger ist 1967. Rollin King bespricht mit seinem Anwalt, dem Elvis-Imitator Herb Kelleher, die Liquidation seiner gescheiterten Fluggesellschaft. Die Beiden wollen jedoch nicht so recht aufgeben und kritzeln irgendwann die Formel eines Billigfluganbieters auf eine Cocktail-Serviette: drei Punkte, drei Striche. Die Punkten stehen für die texanischen Boomstädte San Antonio, Dallas und Houston.

Es war eine simple Idee, die Kelleher auf die Serviette zeichnete – allein zwischen drei Städten sollten die Flieger nun pendeln, und das zu Kampfpreisen. Jeglicher Luxus und auch Serviceleistungen sollten wegfallen oder extra kosten. Stattdessen sollte es ausschließlich das geben, was die Kunden wirklich wollen: niedrige Preise, freies Gepäck und Punkt-zu-Punktflüge.Stück für Stück setzten sich die Billigflieger gegen staatliche Regulierungen und etablierte Anbieter durch. Heute ist es teilweise billiger, nach London zu fliegen, als drei Stunden mit dem Zug zu fahren.Dass die Rumfliegerei für die persönliche Klimabilanz ziemlich bitter ist, ist nichts Neues. Wie stark die Fliegerei den CO2-Fußabdruck jedoch aufbläht, ist aber vielen nicht klar. Die Argumentation lautet dann oft: „Ich fliege zwar, nutze dafür aber sehr selten das Auto“, oder „Ich fliege, ernähre mich aber vegetarisch“ oder mein größter Favorit: „Dafür bin ich aber auch drei Wochen lang da!“.Wir haben uns diese Argumente mal genauer angeschaut.

1. Argument: “Ich fliege, nutze dafür aber sehr selten das Auto”

(Bild: Peter Gericke/GraPicDesign)

Um die CO2-Emissionen eines Hin- und Rückflugs von Berlin nach New York zu kompensieren, dürftest du dein Auto theoretisch nicht mal mehr ansehen. Der Flug kostet nämlich 2,526 Tonnen CO2. Ja, pro Person. Diese Menge setzt sich aus 867 Kilogramm CO2-Emissionen und 1,659 Tonnen CO2-Äquivalenten, also anderen Faktoren zusammen (Atmosfair). Der Großteil der Klimawirkung entsteht also gar nicht durch das Verbrennen von Kerosin, sondern durch Ozonbildung und Kondensstreifen in großer Höhe. Die Berechnung von Myclimate kommt mit 2,367 Tonnen CO2 auf ein ähnliches Ergebnis.Um herauszufinden, wie lang das Auto nun stehen bleiben muss, müssen wir das klimaverträgliche Jahresbudget an CO2-Emmissionen ansehen, das jedem Menschen zur Verfügung steht. Das ergibt sich, wenn man das Ziel einer maximalen Erderwärmung von 2° Celsius ernst nimmt. Auf dieses berühmte „Zwei-Grad-Ziel“ einigten sich sie Delegationen 2009 in Cancun (Weltklimabericht 2014).

Der Rechnung nach verbleibt allen Staaten bis 2050 ein globales Emissionsbudget von etwa 750 Millarden Tonnen (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung, PDF). Je nach dem, wie sich die Weltbevölkerung entwickelt, sind die maximalen CO2-Emissionen pro Kopf höher oder niedriger. Aber ob nun 2 oder 2,3 Tonnen im Jahr – mit diesem Flug wären die schon voll ausgeschöpft. Im Jahr verursacht ein EU-Bürger im Schnitt übrigens knapp 10 Tonnen CO2 (Umweltbundesamt).

2. Argument: “Ich fliege, bin aber dafür Vegetarier!”

„Es muss ja nicht gleich ein Transatlantikflug sein – Spanien reicht mir schon total.“ Und das ist ja nicht so schlimm, könnte man meinen. Die paar Emissionen lassen sich locker durch eine vegetarische Lebensweise ausgleichen. Denkste! Wie viel CO2 das Fleisch verursacht, hängt vom Tier, der Lebensweise und anderen Faktoren ab. Wurde mit Weidegras oder Kraftfutter gefüttert? Musste Regenwald weichen? Handelt es sich um Rinder, die das Treibhausgas Methan ausstoßen und wie weit wird das Fleisch nach dem Schlachten transportiert?

(Bild: Peter Gericke/GraPicDesign)


Der deutsche Bundesbürger verbraucht im Durchschnitt 60 Kilogramm Fleisch im Jahr (SPIEGEL ONLINE). Wenn man ein besonders großer Fan von Hähnchenkeulen wäre und ausschließlich Hühnerfleisch essen würde, müsste man ganze zweieinhalb Jahre auf Fleisch verzichten, um den Flug nach Madrid „auszugleichen“.Bei Rindfleisch sieht die Sache schon ganz anders aus – das Tier ist im Vergleich zum Huhn ein echter Klimakiller. Wie viel CO2 Rindfleisch genau kostet, darüber streitet die Wissenschaft: Manche Forscher kommen auf 13 Kilogramm CO2 pro Kilogramm Rindfleisch (Umweltbundesamt, PDF). Das ist immerhin das Doppelte des CO2-Verbrauchs eines Kilos Hühnerfleisch, mit etwa 6,4 Kilogramm CO2 (Deutscher Vegetarierbund) – der japanische Wissenschaftler Akifumi Ogino kam sogar auf 36 Kilogramm Kohlendioxid pro Kilogramm Rindfleisch (SPIEGEL ONLINE).Doch selbst bei diesen Zahlen sind indirekte Einflüsse, wie beispielsweise die Abholzung des Regenwaldes noch nicht inbegriffen. Würde man die Zerstörung der Kohlendioxidspeicher einbeziehen, wären die CO2-Emissionen durch ein Kilo Rind sogar im dreistelligen Bereich (Deutscher Vegetarierbund).Für die Infografik rechneten wir mit Rinderfleisch aus Europa und nahmen einen Mittelwert von 20 Kilogramm CO2 pro Kilogramm potenziellem Rindersteak. Sollte man normalerweise ausschließlich Rindfleisch essen, bräuchte man immerhin ein knappes Jahr „Fleischpause“ um den Hin- und Rückflug nach Madrid zu kompensieren.

3. Argument: “Dafür bin ich aber auch drei Wochen da!”

Dem Weltklima ist es ziemlich egal, wie lange du an deinem Zielort bleibst. Was vielleicht minimal ins Gewicht fällt: eventuell geringere Kohlenstoffdioxidemissionen durch deinen Lebensstil vor Ort – wegen der leckeren, vegetarischen Küche oder so. Aber das rechtfertigt kaum den Flug.

Bleibt die Frage: Warum sind Flugreisen so billig?

Erstens fallen für Flüge keine Streckenkosten an. Das heisst: Es müssen weder Straßen noch Schienen Instand gehalten werden, um den Transport zu ermöglichen. Es braucht nur den Start und den Landeflughafen und etwas Luftraumkontrolle auf dem Weg. Die Flughäfen sind bei Billiganbietern nicht selten mitten in der Pampa. Das ist günstig für die Anbieter, aber zeitaufwendig bei An- und Abreise für deren Kunden.

Zweitens gibt es einen massiven Preiskampf. Viele Billigflieger versuchen, mit Niedrigpreisen die etablierten Fluggesellschaften oder sich gegenseitig vom Markt zu verdrängen. Die Ticketpreise sind dann allerdings auch billig, weil alles extra kostet, und so viele Passagiere wie möglich in ein Flugzeug gequetscht werden.

Und nun? Gibt es Lösungen?

Ja, gibt es. Wenn auch keine Perfekten.

1. Lösung: CO2-Kompensation

Wer mag, kann bei Myclimate oder Atmosfair die CO2-Kosten seiner Flugreise kompensieren. Die Plattformen unterstützen regenerative Energieerzeugung im globalen Süden oder CO2-Einsparungen bei konventionellen Kraftwerken. Zyniker nennen diese Kompensation modernen Ablasshandel. Optimisten und Realos sagen: „Besser als nichts“.

2. Lösung: Biokerosin oder Kerosin aus Müll

Es wird bereits versucht, Flugzeugtreibstoff aus Zuckerrüben oder Mais herzustellen. Diese Bioenergieproduktion steht allerdings ebenfalls in der Kritik, Nahrungsmittelpreise zu erhöhen. Inzwischen erforscht ein Verbund von Wissenschaft und Industrie die Herstellung von Kerosin auf Grundlage von Algen. Sollte sich dieser Treibstoff bewähren, müsste man sich nicht zwischen „Tank oder Teller“ entscheiden. Noch eleganter als Biokerosin erscheint Treibstoff aus Müll. Bereits 2017 sollen Maschinen von London nach New York mit Müll-Kerosin fliegen (Scientific American). Neben dem Vorteil, konventionelles Kerosin einzusparen, könnte so auch das Methan vermieden werden, welches bei der Müllzersetzung entsteht.

3. Lösung: Keeping it local

Wandern in Thüringen, paddeln in Mecklenburg-Vorpommern, irgendwas in Brandenburg machen.

Wer einen Eindruck bekommen möchte, wie viele Flugzeuge über uns herumfliegen, kann sich bei Planefinder den Flugverkehr in Echtzeit anschauen –Europa sieht dort ungefähr so aus:

Alternativ bekommt ihr über dieses Video einen Eindruck, das die 2524 Flüge visualisiert, die den Nordatlantik innerhalb eines Tages kreuzen:

Alle Illustrationen von Peter Gericke, GraPicDesign, Layouter des transform Print Magazins

Beitragsbild: Club Ohen, CC
Zuerst erschien dieser Artikel hier.

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