Aufruf zum Asozialsein? – Eine Replik

Entfaltung für alle, statt sinnlose 40-Stunden-Woche im Büro: Jan antwortet auf Andeas Kern, der findet, dass „transform“ ein Blatt sei, das die Welt nicht braucht.

   Lieber Herr Kern,

wenn wir uns nicht besser kennen würden, könnte man glatt vermuten, dass Ihnen bei den Schlagworten „Faulheit“ und „Müßiggang“ reflexartig alle Sicherungen durchgebrannt sind. Dass Sie die Gelegenheit beim Schopfe packen wollten, um alles an Assoziationen und kreativen Ergüssen aufs Blatt Papier zu bringen, was schon so lange in ihren Gedanken zum Thema Sozialschmarotzertum, Hippie-Gutmensch und Leistungsverweigerung herumschwirrt. Gut, dass wir einander bekannt sind – zumindest virtuell.

Ich bin ja ein großer Verehrer ihrer Kolumne bei „The European“. In einem Ihrer jüngsten Texte beziehen Sie sich nun auf ein Interview, das ich als Gründer des „transform“-Magazins Mitte Mai „Zeit Online“ gegeben habe. Sie kritisieren mich in Ihrer Kolumne aufs Heftigste; wüten dass „transform“ ein Blatt sei, das die Welt nicht brauche und absurderweise ein „Recht auf Faulheit“ fordere. Welche Laus ist Ihnen denn über die Leber gelaufen? Haben Sie schlecht geschlafen? Vielleicht sollten Sie es mal mit ein wenig Müßiggang versuchen, dann klappt’s auch ohne zickig-aggressiven Unterton. Aber ich sehe schon, als Kolumnist, CDU-Mitglied, Referent in einem sachsen-anhaltinischen Ministerium und Südamerika-Reisender aus Leidenschaft ist man wohl voll drin im Hamsterrad unserer Wachstumsgesellschaft.

Schade – denn hätten Sie die Zeit gefunden, sich mit unserem neuen Magazin auseinanderzusetzen, hätten Sie festgestellt, dass es uns gar nicht so sehr um das „Recht auf Faulheit“ geht. Der entsprechende Artikel, den Sie auch noch fälschlicherweise mir zuschreiben, fragt vielmehr, ob wir die Untätigkeit nicht zu Unrecht verteufeln. Wir sind in der Tat der Meinung, dass wir neu darüber nachdenken müssen, welchen Stellenwert Arbeit, Lebensqualität und Gutes Leben auf einem Planeten haben sollen, den wir so übernutzen, dass wir eigentlich drei von ihm bräuchten.

Auf der Suche nach alternativen Wegen

Ganz sicher werden wir nicht unsere Zukunft gestalten, indem wir weiter an bedingungsloses Wachstum glauben und unser Heil in neuen Technologien und mehr Effizienz suchen. Mit „transform“ wollen wir uns stattdessen auf die Suche nach alternativen Wegen machen und gemeinsam erkunden, wie wir im Alltag den Wandel, den wir so dringend benötigen, leben können. Wir wollen aufwecken, Menschen aus Müdigkeit und Apathie reißen, sie inspirieren. Sie müssen ja nicht selbst dabei mitmachen, aber mich dabei zu verschmähen und mir zu unterstellen, alles andere als meine Vorschläge seien mir „zu piefig, zu mainstreamig“, das finde ich unverschämt, gar peinlich.

Und ehrlich gesagt: Wer muss es denn ausbaden, wenn die Kiste ungebremst vor die Wand fährt? Ich mit meinen „29 Lenzen“ werde es eher sein als Sie! Also versuchen Sie besser nicht, mir abzusprechen, mitreden zu dürfen, nur weil ich aus Ihrer Sicht zu jung bin oder in einem „Paralleluniversum lebe“. Das ist ein wahnsinnig schlechtes Argument. Wo leben SIE denn? Anscheinend in der Alles-soll-so-bleiben-wie-es-ist-denn-so-war-es-schon-immer-Galaxie. Im Übrigen scheint in Ihrer Galaxie ordentliche Recherche offenkundig nicht zu den Standardfertigkeiten eines Hobbyschreiberlings zu gehören. Schließlich legen Sie mir im Minutentakt Meinungen in den Mund, von denen Sie überhaupt nicht wissen können, ob ich sie vertrete – Stichwort: Grundeinkommen, gutes Leben, Aufruf zum Asozialsein.

Auf einige Ihrer anderen Argumente möchte ich ebenfalls noch kurz eingehen. Herr Kern, Sie schreiben:

„Die meisten Menschen, zumindest die, die auf dem Planeten Erde leben, haben andere Sorgen“

und bringen im Folgenden an, dass ein von Ihnen entworfenes, fiktives Paar sicher von anderen Sachen als von Entschleunigung und Zeitwohlstand träume, nämlich von einer Reise nach Mallorca, einem eigenen Haus, einem größeren Auto oder einer gute Schule für die Kinder. Woher wissen Sie das denn? Können Sie hellsehen? Sie zeichnen ein fundamental anderes Bild unsere Gesellschaft, als ich es tun würde. Sie wollen (oder können?) nicht sehen, dass die Zahl psychischer Erkrankungen in den letzten 20 Jahren massiv zugenommen hat: Burn-out, Erschöpfungserkrankungen und Depressionen sind Folge einer Arbeitswelt, in der wir immer weiter rennen, ohne jemals anzukommen.

Wieso schufte ich 40 Stunden und der Chef fährt die Profite ein?

Sie sind Folge einer Mentalität, bei der nicht wenige von uns arbeiten, um Geld zu verdienen, damit wir Dinge kaufen können, die wir nicht brauchen, um Leute zu beeindrucken, die wir nicht mögen. Ein Teufelskreis! Unsere Sorgen sind – neben denen nach materiellem Wohlstand – auch Fragen nach Freiheit, Gesundheit und Sinn. Wieso schufte ich 40 Stunden im grauen Büro und der Chef fährt die Profite ein? Wieso unterstütze ich mit meiner Tätigkeit ein Wirtschaftssystem, das Wenigen viel gibt und Vielen wenig. Wieso sehen Sie das denn nicht? Zählen für Sie nur Leistung, Wirtschaft, falsches Pflichtgefühl?

So gerne hätte ich mit Ihnen die vielen Ideen für neue Konzepte, die wir in „transform“ vorstellen möchten, einmal diskutiert. Ich bin des Weiteren zutiefst davon überzeugt, dass unsere Gesellschaft nicht zusammenbräche, nur weil man sich gegen Überstunden wehrt, gegen das menschenfeindliche Hartz-IV-System protestiert oder Menschen dazu aufruft, nicht alles mit sich machen zu lassen. Woher kommt nur Ihre Angst, dieses Misstrauen dem Neuen gegenüber? Vielleicht ist es ja so, wie ein Kommentator unter Ihrer Kolumne schreibt: „Herr Korte mag von Wirtschaft vielleicht weniger verstehen als Sie. Vom Menschsein hat er aber deutlich mehr begriffen.“

So gut kenne ich mich in Wirtschaftspolitik aber doch aus, um Ihnen eine Rückmeldung zu Ihrem Beispiel mit Gunter Sachs zu geben. Sie argumentieren, der Millionenerbe könne ja jederzeit „den Jet-Set genießen“ oder sich nach Belieben als Fotograf, Astrologe oder Künstler vergnügen. Im gleichen Atemzug plädieren Sie, Herr Kern, dafür, „nicht so vom Erbglück gesegnete Menschen“ nicht in Versuchung zum Nichtstun zu führen.

Zeitwohlstand und Entfaltung für alle!

Das ist schon ein starkes Stück: Schließlich ist es doch gerade die Partei, in der Sie Mitglied sind und für deren Minister Sie als Referent arbeiten, die eine gerechtere Besteuerung von Erbschaften kategorisch ablehnt. So werden die immer reicher, denen der Zufall ein Vermögen beschert, während der große Rest sich im harten Alltag krummlegen muss. Sie sagen: Zeitwohlstand und Entfaltung für Reiche. Wir bei „transform“ sagen: Zeitwohlstand und Entfaltung für alle! Denn alles andere ist ungerecht und ziemlich zynisch. Wozu dienen denn sonst Roboter, Digitalisierung und Effizienzgewinne? Damit wir noch mehr arbeiten?

Probieren Sie doch mal was Neues aus. Es gibt so viel Schönes und Gutes – lassen Sie uns doch gemeinsam, im Dialog, dafür sorgen, dass alle etwas davon haben, und nicht nur ein paar wenige. Gerade können Sie das sogar mit Geld tun, das scheint Ihnen ja ganz gut zu gefallen. Denn bis Ende Mai läuft unsere Crowdfunding-Kampagne. Damit wir anstrengungslosen Wohlstand propagieren können, der unsere Welt in den Abgrund stürzt. Ich baue auf Ihre Unterstützung!

   Herzlich, Ihr Jan Korte

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