Jeder ist ein Wirtschaftslehrer*!

Unser Weltbild ist ein ökonomisches und Lehrbücher verbreiten mehr oder weniger stets die reine Lehre. Deswegen sagt dieser Wirtschaftspädagoge: bilde dich selbst weiter in der Ökonomie sowie ihrer alternativen Ansätze und gib dein Wissen dann weiter!

Manchmal wäre ich gerne Chemielehrer. Wenn meine Schülerinnen und Schüler nach wochenlangem Unterricht endlich Aufbau und Logik des Periodensystems der chemischen Elemente beherrschen würden, wüsste ich, dass dies allein meinem Unterricht zu verdanken ist. Und es stünde auch nicht zu erwarten, dass sie in Folge einer Titelschlagzeile der Zeitung oder durch Diskussionen am Mittagstisch auf einmal der Ansicht wären, Wassermoleküle bestünden aus Wasserstoff- und Chloratomen. Auch wenn nach dem Besuch des städtischen Freibads die Augen vielleicht etwas gerötet waren…

Bilder verfangen

Anders verhält es sich mit den Lerngegenstand der Ökonomie. Wirtschaftswissen gehört heute ganz selbstverständlich zur Allgemeinbildung eines jeden Bürgers und einer jeden Bürgerin. Politische Diskussionen drehen sich in den meisten Fällen um wirtschaftliche Fragen.

Wer „dazu gehören“ will, muss hier mitreden können. Doch wenn der schulische Wirtschaftsunterricht zu dröge war oder kein akademisches Ökonomiestudium in der Vita steht, wird man sich im Zweifel dann an die griffigen Metaphern und Slogans halten, mit denen wir alltäglich in den Medien konfrontiert werden. Dass „Geld arbeiten muss“ verbreiten dort gerne die Werbeagenturen der Bankenbranche. Andere Stimmen vertreten die Meinung, dass die „Exportweltmeisterschaft“ – gleich nach der Fußballweltmeisterschaft – die zweithöchste Ehre darstellt, die einem Volk zuteilwerden kann.

Wie weit solche Vorstellungen verbreitet sind, zeigt die tägliche Arbeit mit jungen Lernenden in der Schule. Noch ohne jemals eine einzige Stunde Wirtschaftsunterricht genossen zu haben, sind viele Jugendliche bereits der festen Überzeugung, dass wir Menschen nur aus einem Grund wirtschaften müssen: „Um die Konjunktur anzukurbeln“.

Das Bild der Wirtschaft als eine riesengroße Produktionsmaschine, die wir am Laufen halten müssen, ist tief im gesellschaftlichen Denken verankert, und als Wirtschaftspädagoge muss ich mich nicht nur an dieser oder den oben genannten Überzeugungen abarbeiten.

Im Wirtschaftsunterricht weghören?

Das Tragische an der herrschenden Wirtschaftsdidaktik ist, dass es oftmals sogar besser wäre, wenn Schüler*innen ihrem Lehrer nicht zuhören. Das heimliche Chatten am Smartphone oder eine Partie Schiffe versenken unter dem Pult könnte sie bewahren vor einer Wirtschaftslehre, deren Modelle und sprachliche Metaphern ihrerseits zur gesellschaftlichen Irreführung beitragen.

Der berüchtigte „Homo Oeconomicus“ und die „Unsichtbare Hand des freien Marktes“ sind bereits seit einiger Zeit ins Gerede geraten und werden schon heute immer öfter auch im Wirtschaftsunterricht kritisch beleuchtet. Doch eine Vielzahl weiterer Unterrichtsthemen und -modelle zeichnet weiter unhinterfragt das Bild einer naturgesetzlichen Ökonomie, der man sich als Individuum nur anpassen kann. Das legt die erste Schulbuchstudie zur Frage der Nachhaltigkeit in volkswirtschaftlichen Lehrbüchern nahe, die ich für das Düsseldorfer Agenda-Netzwerk erstellen durfte. Weithin unkommentiert ignorieren Modelle des „Wirtschaftskreislaufs“ in fast allen gängigen Lehrbüchern, dass Produktion und Konsum in der realen Welt nicht nur monetäre Größen sind, sondern echte Ressourcen brauchen und massive Auswirkungen auf die Umweltqualität haben.

Seit mittlerweile 50 Jahren verklärt das sogenannte „Magische Viereck der Wirtschaftspolitik“ die handelnden Politiker*innen zu Zauberern, die an nichts anderes denken, als Wege zur Vollbeschäftigung zu suchen und das Außenhandelsgleichgewicht zu verwirklichen. Dass letzteres noch nie maßgebliche Richtschnur einer wachstumsverliebten Wirtschaftspolitik war, wird übersehen. Und auch im Nachhaltigkeitsdiskurs finden Lehrbuchautor*innen keine zeitgemäßen Antworten.

Wie könnte es sonst sein, dass man Begriffe wie das Grundeinkommen, Recycling, Postwachstumsökonomie oder den Fairen Handel auch 30 Jahre nach Beginn der Diskussion um Nachhaltigkeit in volkswirtschaftlichen Schulbüchern vergeblich sucht?

Neue Bildungspläne, alter Wein

Kritik an den akademischen Wirtschaftswissenschaften ist nicht neu. Schon länger weisen Vertreterinnen und Vertreter der Pluralen Ökonomik auf deren Reformbedürftigkeit hin. Seltener gerät die schulische Wirtschaftslehre in den Blick – obwohl weitaus mehr Menschen im Laufe ihrer Berufsausbildung damit in Berührung kommen. In Zukunft wird ihre Zahl zunehmen, denn die Bildungspolitik drängt darauf, ökonomische Inhalte auch zum Gegenstand der Allgemeinbildung zu machen.

Umso wichtiger ist, dass wir dort auch über ökonomische Inhalte reden. Denn Lehrpläne und die daraufhin konzipierten Schulbücher haben eine Lebenserwartung von rund 20 Jahren. Es mangelt ja nicht an guten Konzepten von externen Anbietern wie z. B. dem Konzeptwerk Neue Ökonomie und Fairbindung, die methodisch und inhaltlich exzellente Materialien für eine wachstumskritische Wirtschaftslehre im 21. Jahrhundert konzipiert haben. Es mangelt an zukunftsfähigen Bildungsplänen, die es wagen, alte Zöpfe abzuschneiden.

Eine neue Wirtschaftslehre braucht Citizen Science

Die globalen Probleme lassen uns allerdings wenig Zeit, auf die Mühlen der Bildungspolitik zu warten. Und die Hoffnung, dass die akademischen Wirtschaftswissenschaften ihre Dogmen aufgeben, wird schon lange überstrapaziert. Aber auch bei gültigen Curricula lassen sich Zukunftsfragen schon heute bis zu einem gewissen Grad auch an herkömmliche Unterrichtsthemen anschließen.

Das ist das Ziel der Materialien, die ich seit Jahren auf meiner Webseite vorstelle. Für die berufliche Bildung sind vor allem die Unterrichtshefte zu empfehlen, die EPiZ Berlin zu zahlreichen Ausbildungsberufen entwickelt hat. Die Initiative BiWiNa hat eine Themensammlung entwickelt, die für alle gängigen ökonomischen Fragestellungen die passenden Nachhaltigkeitsthemen zusammenstellt. Solange die Öffentlichkeit das Problem nicht sieht und die Bildungspolitik nicht handelt, müssen Wirtschaftspädagog*innen selber aktiv und kreativ werden.

Das ökonomische Denken wird allerdings nicht nur durch eine fragwürdige Wirtschaftslehre geprägt. Jeder, der über Wirtschaft spricht, hat einen Einfluss auf ökonomische Weltbilder. Achten wir einfach mehr auf die Metaphern, die wir in unserem Alltag verwenden. So wie Marktliberale in pauschaler Weise auf „den Staat“ schimpfen und dabei übersehen, dass wir alle diesen Staat ausmachen, so verurteilt die politische Linke allzu oft „die Wirtschaft“, wenn sie doch nur Unternehmen meint, oftmals gar nur bestimmte Weltkonzerne. Wir alle sind Teil der Wirtschaft und wir brauchen sie. Doch unsere Bilder von ihr müssen wir lernen zu hinterfragen. In der schulischen Bildung und im öffentlich-medialen Raum.


Der Autor: Patrick Brehm ist Wirtschaftspädagoge und durch zahlreiche Projekterfahrungen und Netzwerkarbeit auf die Verbindung von traditionellen Wirtschaftslehre mit Zukunftsfragen aus dem Nachhaltigkeitsdiskurs spezialisiert. Vertieft werden diese Kenntnisse täglich durch die Lehren, die ihm seine Schülerinnen und Schüler erteilen.

 

Foto: Unsplash (Jakob Mager)

Karikatur: Patrick Brehm

Autorenfoto: Patrick Brehm

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