Warum langsamer reisen mehr Spaß macht

Gestern in Mailand zum Shoppen, morgen zum Baden an die Algarve und dann zum Trekken nach Neuseeland – manche reisen, als würden sie eine To-Do-Liste abhaken. Dabei ist es viel schöner, sich wirklich Zeit für sein Urlaubsziel zu nehmen und es mit allen Sinnen zu entdecken.

Die Sehnsucht nach Entschleunigung

Immer schneller, immer mehr – das Credo der Industrie hat längst alle Lebensbereiche erfasst. Es scheint ganz normal zu sein, dass Zeitdruck und Effizienzdenken die Freizeitgestaltung bestimmen. Dass man Fast Food bestellt, statt selbst zu kochen, und jede Lücke im Terminkalender mit neuen Aktivitäten füllt. Aber es geht auch anders.

Die Idee der Entschleunigung ist sehr alt und wurzelt bereits in der Antike. So füllten die reichen Römer ihre Tage wenn möglich mit „Otium“, worunter „Muße“, „Ruhe“ und „Langsamkeit“ zu verstehen ist. Wer Zeit hatte, verbrachte sie mit den schönen Dingen des Lebens, mit Kunst, Studium oder Philosophie. Heute hat die Sehnsucht nach Entschleunigung neue Triebe hervorgebracht: Slow Food besteht auf Nachhaltigkeit und Genuss, Slow Travel dagegen auf bewusstes, individuelles Reisen.

Slow Travel statt Pauschalreise

In möglichst kurzer Zeit möglichst viel sehen – auch die Tourismusbranche hat ihre Angebote auf Schnelligkeit und Effizienz ausgelegt. Doch hier findet ebenfalls ein Umdenken statt: Statt Pauschalurlaub gibt es immer mehr Reisen, die nach dem Bausteinprinzip individuell zusammengestellt werden können. Wie der Reisende seinen Urlaub verbringt, hängt letztlich aber von ihm selbst ab: Slow Travel ist eine Art zu reisen, die nicht von außen, sondern von innen kommt.

„Bei Slow Travel geht es darum, sich auf seine Umgebung einzulassen. Es ist keine große Wissenschaft, stattdessen ist es ein einfaches Konzept, dass wir mit der Zeit verlernt haben. Und nun müssen wir es mühsam wieder erlernen“, so der langsame Reisejournalist Paul Sullivan in Go Euro.

Slow Travel hat aber noch viele weitere Aspekte, die jeder nach Belieben anwenden kann. Das meiste lässt sich mit jedem Budget und in jedem Urlaubsland umsetzen – egal ob im schicken New York oder im verschlafenen Oberbayern, an Mallorcas Sandstränden oder Islands Vulkankratern.

Slow Travel beginnt bei der Anreise

Manche bevorzugen langsame Fortbewegungsmittel, um direkt zu erleben, wie groß die Strecke ist, die sie zurücklegen.

Slow Travel beginnt, wenn du deine Wohnung verlässt und dich auf den Weg machst. Manche bevorzugen langsame Fortbewegungsmittel, um direkt zu erleben, wie groß die Strecke ist, die sie zurücklegen. Man muss es auch nicht übertreiben und auf einen alten elektrischen Milchwagen umsteigen, wie ihn der Slow-Travel-Pionier Dan Kieran nutzte. Aber muss man wirklich mit dem Flugzeug nach Berlin fliegen, wenn der Zug ebenfalls komfortabel und dazu ökologischer ist?

Nicht nur das Fortbewegungsmittel zählt, sondern auch die Haltung, mit der man es betritt. Denn die Anreise ist viel mehr als nur die Überwindung der Distanz, die viel zu viel Zeit kostet, die wiederum möglichst effizient totzuschlagen ist. Während der Fahrt Bücher zu lesen Filme zu schauen, ist natürlich nicht verkehrt, aber manchmal sind die kleinen Dinge, die man so schnell übersieht, viel reizvoller. Vielleicht lohnt es sich sogar, eine Unterhaltung mit seinem Sitznachbarn zu beginnen? Oder sich heimlich über die Vorfreude zu freuen, die jede Reise mit sich bringt?

Langsam ankommen

Wie viel Zeit notwendig ist, um anzukommen, sich umzusehen und Fuß zu fassen, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Aber Zeit braucht es. Und vermutlich mehr als ein oder zwei Tage. Gönn dir also so viele Tage, wie dir sinnvoll erscheint, um ganz in dein Urlaubsziel einzutauchen.

Bei Slow Travel geht es aber nicht um die Langsamkeit an sich, sondern um das, was daraus entstehen kann: Wenn wir nicht von A nach B rasen, werden auch die Gedanken ruhiger und machen einer neuen Art von Aufmerksamkeit Platz, die alles entspannt und unvoreingenommen betrachtet.

Nichts, wirklich gar nichts, ist selbstverständlich.

Bewusstes Reisen eröffnet neue Perspektiven. Man nimmt die Menschen um sich herum anders wahr, begegnet ihnen vielleicht sogar offener und schätzt scheinbare Selbstverständlichkeiten mehr. Denn nichts, wirklich gar nichts, ist selbstverständlich – weder die Tatsache, dass wir über einen Planeten namens „Erde“ wandeln, noch in der glücklichen Lage sind, reisen zu können.

Erleben statt durchgeschleust werden

Wir wäre es damit, eine Stadt unvoreingenommen zu erkunden und sich ohne Stadtplan treiben zu lassen?

Slow Traveller mischen sich unters Volk, kommen mit den Menschen vor Ort in Kontakt, leben einfach und lassen Pläne auch mal links liegen, sollten sie sich welche ausgedacht haben. Denn wer schon im Voraus weiß, was eine Stadt alles zu bieten hat und nur auf der Jagd nach eben diesen Sehenswürdigkeiten ist, wird auch nicht viel mehr als das zu sehen bekommen.

Wir wäre es damit, eine Stadt unvoreingenommen zu erkunden und sich ohne Stadtplan treiben zu lassen? Dann ist man wirklich darauf angewiesen, nach rechts und links zu schauen und seiner Intuition zu folgen – denn etwas anderes gibt es nicht.

Doch wer nur den Stadtplan beiseite legt, ohne seine Erwartungen ebenfalls links liegen zu lassen, sucht doch wieder nach glorreichen Erfahrungen, die er vielleicht nicht machen wird. Oder die am ehesten dann aufkommen, wenn man sie am allerwenigsten erwartet. Echte Neugier ist, seine Umgebung mit frischem Blick zu betrachten – wie ein Kind, das gerade erst dabei ist, die Welt zu erkunden.

Fazit

Am Ende ist Slow Travel nicht nur eine Art zu reisen, sondern eine Lebenskunst, die aus der Erkenntnis entsteht, dass dem ewigen Wachstum Grenzen gesetzt sind. Statt immer mehr Sehenswürdigkeiten zu besuchen, geht es darum, wirklich in sein Reiseziel einzutauchen und allem, was da kommen mag, unvoreingenommen zu begegnen.

 

Bernita Müller arbeitet seit 30 Jahren in der Touristik und gründete zusammen mit Michaela Müller Wainando, einen Online-Reiseveranstalter, der sich auf Slow Travel, Meditation, Ayurveda-, Natur- und Yogareisen spezialisiert hat.

 

Beitragsbild: David Marcu CC0

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