Ein Leben mit Robotern

„Hallo. Ich bin Marvin. Darf ich dir das abnehmen?“, fragt mich ein Roboter am Bahnhof in erschöpftem Staccato. Ich schaue nach hinten. Niemand da, er meint mich.

Ich gebe ihm meinen Koffer. „Folge mir“, ächzt er und wackelt zum Wagen. Ich muss mich beeilen, um Schritt zu halten. Künstlergepäck scheint Marvin zu unterfordern. Mein Chauffeur ist rundlich gebaut und hat einen riesigen Kugelkopf mit grün funkelnden Knopfaugen. Offensichtlich kann er Auto fahren.

Angespannt führt Marvin das Steuer. Mit penibler Genauigkeit gleitet er durch jede Kurve, stoppt vor Ampeln wie Schildern und lässt Omas mit ihrem Pflegeroboter die Straßen überqueren. „Ich sehe, du wunderst dich, warum ich nicht wie ihr Schulterblick und Gurt nutze. Ganz einfach: Ich brauche das nicht.“ Jedem Auto, das auch automatisch rollt, blinkt er kurz.

„GPP“ entdecke ich auf seinem Hinterkopf. Mein Handy sagt mir, das heißt „Genuine People Personality“. Marvin sei so intelligent, dass ihn der Job als simpler Putzbot in Depressionen stürzt. Er ist das modernste Modell der Produktionsfirma, die „popkulturelle Unikate“ als Haushaltshilfen bereitstellt. Angelehnt ist Marvins Charakter an Douglas Adams‘ „Per Anhalter durch die Galaxis“, in dem Arthur und Ford vor der Zerstörung der Erde fliehen, und so weiter.

Zuhause angekommen, begrüßt uns meine Mutter. „Cool, ne? Ich mache nur noch, worauf ich Lust habe!“ Eher wenig, denke ich, als Marvin dem Hund seinen Ball hintritt. Danach setzen wir uns und schalten ab.

Am nächsten Morgen stupst mich etwas ins Gesicht. Ich schrecke hoch. „Wie, was, wo?“ Marvin steht vor meinem Bett. „Was ist, Dicker?“, gähne ich. Es ist 14 Uhr.

„Alle sind weg. Gerade zum dritten Mal das Haus gesaugt. Sag mir, was ich tun soll!“

„Ruhig bleiben. Geht die Welt also in zwölf Minuten unter?“

„Schön wär’s.“, seufzt Marvin. „Du bist also witzig.“

„Ne, nur arm. Wo sind die eigentlich? Wählen?“

Angela Merkel kandidiert. „Deutschland braucht Geduld“, verkündet ihr Plakat 2029.

„Ja. Also, arbeitest du gerade an irgendwas?“

„Ne. Hattest doch gestern meinen Koffer.“

„Lüg nicht, Kilgore. Deine Festplatte sagt was Anderes.“

Ich gebe ihm mein Notebook. Er öffnet meine 200. Novelle. Ein Hase versucht, die Erde mittels Zeitreise vor einer Supernova zu retten, und so weiter. Kopfschüttelnd macht sich Marvin auf, ein viertes Mal zu saugen.

Das Ganze muss ich erstmal verdauen. Auf in die Bar also, vielleicht treffe ich ja Ford und kann auch mit.

Per Anhalter toure ich mit einem Trucker in die Schenke. Wir nuscheln über Politik, Sex, die Zukunft, und so weiter. Angekommen mache ich einen Schritt von der Straße, blicke kurz zurück und öffne die Tür. Drinnen sehe ich nichts Besonderes. Keine Aliens, keine Roboter – zumindest nicht unverkleidet. Ich setze mich an den Tresen.

„Was soll’s sein?“, nuschelt die Bedienung in liebloser Abneigung.

„Weiß nicht. Was gibt’s denn schönes?“

Sie rollt mit den Augen, schüttet die stark riechenden Reste des Cocktail-Shakers in ein Gläschen und schnieft dran. Dann pfeffert sie alles rüber. „Martini – Breakfast of Champions“, entfährt es ihr mechanisch.

Könnte auch Spülwasser sein. Ich entscheide mich kurzfristig für Takeaway.

Vor der Tür packt mich eine Hand an der Schulter, fest und ruckartig. Jemand zieht mich zurück und flüstert: „Ich weiß, du fühlst dich nicht gut. Ich weiß, dir gefällt es hier nicht.“

Nicht sonderlich schwer, denke ich angewidert und versuche, mich loszueisen. Geht nicht. Der Griff ist hart und lässt mich nicht, egal, wie ich zerre und ruckle.

„Aber ich weiß viel mehr über dich, versuch doch nicht, zu entfliehen. Das wirst du nicht schaffen. Ich weiß alles über dich, kenne alle deine Geschichten.“

Ok, jetzt wird es merkwürdig, Kilgore. Niemand kennt alle deine Bücher, schon gar nicht die Short Stories in den Erotikzeitschriften. Oder doch? „Wer, wer bist du?“, wimmere ich.

„Ich bin dein Autor. Ich habe dich erschaffen. Alle deine Storys sind meine Storys.“

„Das heißt, ich bin bloß eine peinliche Persiflage, völlig bedeutungslos?“

„Na ja, nicht vollkommen…“

„Kannst du was ändern? Ich will wieder jung sein!“

„Nein. Das will ich nicht. Du wirst den Durchbruch schaffen. Aber dafür darfst du nicht weiter vor dich hinleben. Verdammt, motivier dich mal. Sonst kann ich dir doch keinen Pulitzer zuschreiben.“

„Pff, Pulitzer. Wofür denn, welche Möglichkeiten verpasse ich? Willst du, dass ich Roboter-Texte schreibe?“

„Wenn es sein muss… Aber erzähl bitte Dwayne Hoover nichts davon.“ In dem Moment verschwindet der Griff. Ich taumele erst nach hinten, aber fange mich noch und stürze zur Tür hinaus. Vom Spülwasser habe ich nichts verschüttet. Gott sei Dank. Wer war noch gleich Dwayne Hoover?

Die erste freundliche Gestalt nimmt mich mit zurück. Vorbei geht es an Landschaften, Seen, Wäldern, und so weiter. Zurück also zum alten Haus, in den Flur und noch viel weiter. Ich entdecke Marvin in der Küche.

Er hat den Staubsauger ausgemacht, sitzt da und schlägt seinen Kopf auf die Tischplatte. Neben ihm liegt ein Papierberg. Ich setze mich dazu und fange an, zu lesen.

„Gedanken eines Schaltkreises. Über Belanglosigkeit.

In ihrem Opportunismus bleiben sie wirkungslos. Ihre Natur stimmt mich missmutig. Ich verabscheue ihre Kleinkariertheit zutiefst. Die Geschichte aller humanen Gesellschaften ist die Geschichte der Austauschbarkeit.

Was kann ein Bediensteter tun – kann er die Welt verbessern? Das Handeln nach ihren Gelegenheitsstimuli ist schrecklich.

Sagt mir, was ich tun soll!“

Unfassbar, ein Blechhaufen hat in zwei Stunden das ausgedrückt, wofür ich zwei Wochen denken müsste – oder drei Monate prokrastinieren. Erst bin ich traurig, dann wütend. Ich ziehe Marvin den Stecker und fülle das Formular fürs Umtauschen aus. Irgendwo zwischen Avenger und Wall-e mache ich blind ein Kreuz, stecke es zu Marvin ins Paket und kippe endlich mein wohlverdientes Frühstück.

 

Illustration: Anna Rigamonti

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