Über die Unvereinbarkeit von Beruf und Familie

„Familienfreundlicher Betrieb“ ist ein Zertifikat, das man schon für die Einrichtung eines Eltern-Kind-Zimmers bekommen kann. Na gut, zugegeben, ganz so einfach ist es nicht. Der Arbeitgeber hat eine ganze Reihe von Kriterien zu erfüllen. Trotzdem: Der Begriff ist irreführend, denn familienfreundlich ist die Arbeitswelt auch mit diesem Zertifikat nicht. Wie denn auch? Schließlich ist die Atmosphäre in unserer Gesellschaft selten familienfreundlich.

Zwar ist das Ideal von der kleinen Familie immer noch vorhanden, doch steht es im starken Widerspruch zu all den anderen Dingen, die wir heute so gern haben: Freiheit, Jugendlichkeit, Freizeit für Party, sportliche Betätigung und Kultur, Lebensabschnittspartner, Reisen in ferne Länder – und eben Karriere.

Es wird immer hocherfreut zur Geburt eines Babys gratuliert, doch dann sollen die Kinder bitte irgendwo verwahrt und betreut werden. Sie dürfen im normalen Fortgang des Lebens nicht stören. Um eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu schaffen, reichen ein paar Frauenfördermaßnahmen und Kitaplätze bei weitem nicht aus. Ein gesellschaftlicher Wandel muss her!

Familienfreundlichkeit ist mehr als die Kita im Betrieb

Es genügt nicht, Frauen durch mehr Betreuungsplätze als Arbeitskräfte zu mobilisieren – davon profitiert letztendlich vor allem die Wirtschaft. Und darum sollte es auch gar nicht gehen. Familienfreundlichkeit sollte sich nicht dadurch auszeichnen, dass man das Kind für 24 Stunden in der betriebseigenen Kita abgeben kann. Familienfreundlichkeit bedeutet flexible Arbeitszeiten, Halbtagsstellen, Homeoffice-Möglichkeiten. Besprechungstermine sollten nicht in den späten Abendstunden liegen und die tatsächlich abgelieferten Ergebnisse der Arbeit sollten wichtiger sein als die abgeleistete Stundenzahl.

Es genügt auch nicht, Vätern Zugang zum Elterngeld zu verschaffen. Eine Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend von 2010 zeigt, dass sich der Anteil der Väter, die Elternzeit nahmen, zwar seit der Elterngeldreform 2007 von 7% auf 22,4 % steigerte. Allerdings nahmen sich gute dreiviertel dieser Väter nur ein bis zwei Monate frei für die Familie.

Woran mag das liegen? Eventuell an den Schwierigkeiten, auf die engagierte Väter stoßen, an den verwunderten Blicken und erstaunten Nachfragen. Letztendlich liegt es wohl aber an den nach wie vor stark vorherrschenden stereotypen Rollenbildern von Mann und Frau. Dass ich das als Grund nenne, mag für manche unzeitgemäß klingen, doch immer wieder höre ich solche Geschichten: vom Vater, dessen Stipendium nicht um dieselbe Zeit verlängert wird, wie das der Kommilitoninnen mit Kindern. Oder vom Vater, der den Betrieb frühzeitig informierte, dass er sechs Monate Elternzeit nehmen wolle, und dem dann – natürlich offiziell aus anderen Gründen – gekündigt wurde.

Als mögliche Lösung für dieses Ungleichgewicht wird oft vorgeschlagen, jeweils sechs Monate Elternzeit für beide Partner verpflichtend zu machen. Doch selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass diese radikale Forderung erfolgreich durchgesetzt würde: Ohne einen Wandel von Geschlechterrollen kann es nicht gehen. So berichtet eine gerade veröffentlichte Studie von Beth K. Humberd, Professorin an der University of Massachusetts darüber, dass Väter von Teilzeitjobs profitieren und zufriedener sind. Für Mütter dagegen bedeutet Teilzeit nicht nur mehr Stress, sondern auch weniger Geld. Woran könnte das liegen?

Warum haben Frauen in Teilzeit mehr Stress und weniger Geld als Männer?

In ihrem Buch „The second shift“ beschreibt Soziologin Arlie Hochschild, dass sich zwar die Menge der von Frauen verrichteten Hausarbeit verringert, wenn sich ihr Gehalt dem ihres Mannes annähert. Doch die Verteilung ist nie ganz ausgeglichen. Am spannendsten ist, dass sich dieser Zusammenhang wieder umdreht, wenn das Gehalt der Frau höher wird als das des Mannes: Je mehr sie verdient, desto mehr Hausarbeit macht sie. Selbst wenn der Ehemann arbeitslos ist! Eine soziologische Erklärung dafür liefern Michael Bittman und Kollegen im Artikel „When does gender trump money? Bargaining and time in household work“: Um die unkonventionelle Rollenverteilung im Bereich Job und Geld auszugleichen, verhalten sich die Partner im privaten Kontext stärker rollenkonform. Viele mögen diese Idee als veraltet abtun, doch letzterer Artikel stammt immerhin aus 2003. Und wer davon überzeugt ist, wesentlich modernere Rollenvorstellungen zu haben, kann ja mal seine unbewussten Assoziationen im Implicit Association Test unter Beweis stellen.

Wie stark solche unbewussten Assoziationen der Geschlechter mit bestimmten Eigenschaften oder Fähigkeiten die Entscheidungen bei der Personalwahl beeinflussen, zeigen etliche psychologische Studien. So werden Kandidaten mit identischen Lebensläufen als unterschiedlich kompetent bewertet, abhängig davon, ob die Bewerbung mit einem männlichen oder einem weiblichen Vornamen versehen ist. Wer dann als geeigneter Kandidat für einen Job ausgewählt wird, hängt davon ab, ob es sich um einen traditionell männlichen oder traditionell weiblichen Beruf handelt.

Stereotype Vorstellungen über die Geschlechterrollen sind leider noch nicht ganz überholt. Wer das nicht glaubt, der sollte in Spielzeugabteilungen mal nach nicht stereotypem Spielzeug suchen, oder versuchen, ein Mädchen in einer Kindergartengruppe zu finden, das nicht mindestens ein rosa Kleidungsstück trägt. Mit welchen Rollenvorstellungen wir Kinder sozialisieren, beeinflusst ihre späteren Vorstellungen und Verhaltensweisen. Da es jedem ein größeres Spektrum an möglichen Verhaltensweisen eröffnen würde, profitierten alle von gelockerten Rollenzuweisungen: Männer, Frauen und natürlich alle, die irgendwo dazwischen sind – und zwar beruflich sowie privat.

Letztendlich geht es aber auch um persönliche Prioritäten. Natürlich liegt ein großer Teil der Verantwortung bei Politik und Wirtschaft. Doch wir sollten auch erkennen und akzeptieren, dass die aktuelle Situation eine perfekte Vereinbarkeit von Beruf und Familie kaum zulässt. Vielleicht hat der eine oder andere Glück, und es gelingt ihm oder ihr tatsächlich. Doch ich stelle hier die waghalsige Hypothese auf, dass ein sehr großer beruflicher Erfolg häufig Beeinträchtigungen des Familienlebens mit sich führt – und umgekehrt eine Hingabe an die Familie einen Verzicht auf Führungspositionen zur Folge hat. Gleichzeitig hilft man sich selbst aber am ehesten mit mehr Gelassenheit: Auf eine angesehenere Stelle zu verzichten, mit weniger Gehalt klarzukommen und kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn es nur Tiefkühlkost zum Abendessen gibt. Solche provisorischen Notbehelfe bei der Vereinbarung von Familie und Beruf schaffen Raum, wo momentan wenig ist.

 

Der Artikel erschien in unserer, ersten gedruckten Ausgabe zum Thema Arbeit. Diese kannst du dir hier bestellen.

 

Illustration: Anna Kaufmann, CC

 

Weiterlesen:
Implicit Association Test Gender-Career

Buch – Mehr zum Thema Rollenvorstellungen (und dass diese keinerlei nachweisbaren biologischen Ursprünge haben): „Delusions of Gender“, deutsch „Die Geschlechterlüge“ von Cordelia Fine

Literaturnachweis
Fegert, J. M., Liebhardt, H., Althammer, J., Baronsky, A., Becker-Stoll, F., Besier, T., Dette-Hagenmeyer, D., Eickhorst, A., Gerlach, I., Gloger-Tippelt, G., Kindler, H., Leyendecker, B., Limmer, R., Merkle, T., Reichle, B., Walter, H., Wöckel, A., von Bresinski, B., Ziegenhain, U. Vaterschaft und Elternzeit. 2010

Ladge, J. J., Humberd, B. K., Harrington, B., & Watkins, M. Forthcoming. Updating the Organization Man: An Examination of Involved Fathering in the Workplace. Academy of Management Perspectives. 2015

Hochschild, A.R. The second shift. New York: Avon Books. 1990; Bittman, M., England, P., Sayer, L., Folbre, N., Mtheson, G. When does gender trump money? Bargaining and time in household work. American Journal of Sociology. 2003

Davison, H.K., Burke, M.J. Sex discrimination in simulated employment contexts: A meta-analytic investigation. Journal of Vocational Behavior. 2000

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