Familienanschluss statt Auffanglager

Ich sitze alleine in meiner 2,5 Zimmer Wohnung am Esstisch mit vier Stühlen und lese Zeitung während ich mein Müsli löffele. Die Heizung funktioniert. Der Kühlschrank und das Bücherregal sind gefüllt. In einem Zimmer stehen nur mein Schreibtisch und ein Gästebett. Wie wäre es, wenn dort für ein halbes Jahr ein Flüchtling zu Gast wäre?

Warum nicht die Gastfreundschaft erweitern?

In der Grundschule begleiten Viertklässler die Erstklässler, wenn sie neu sind: Stolz sind sie darauf. Für Berufseinsteiger gibt es Mentoren-Programme: Beide Seiten lernen davon. Können wir nicht auch Flüchtlingspartnerschaften einführen? Es gibt etwa 81 Millionen Deutsche und 1 Millionen Flüchtlinge: Das heißt jeder 81. Mensch in diesem Land nimmt einen Flüchtling auf. Couchsurfing gibt es schon – warum nicht die Gastfreundschaft erweitern und dabei viele Integrationsprobleme lösen?

Deutsch lernen

Wir würden wohl erst mit Händen und Füßen reden. Arabisch spreche ich nicht. Vielleicht würde ich mich wieder mit meiner alten Schulfreundin Zeynep treffen. Die spricht arabisch und kann übersetzen. Aber schnell würde mein Gast die einfachen Alltagsgespräche lernen. Das ging mir auch so, als ich nach dem Abitur ohne Sprachkurs nach Südamerika gereist bin. Nach einem halben Jahr konnte ich mich auf Spanisch prima verständigen. „Wer duscht als erstes?“, “Trinkst du lieber Kaffee oder Tee zum Frühstück?“

Und wenn ich Besuch bekomme, dann könnte mein Gast alles Gelernte ausprobieren: Im echten Leben und nicht nur im VHS-Kurs. Und ich kann zum Lesen lernen endlich die verstaubten Kinderbücher wieder aus dem Regal holen: Je nach Interesse und Lernfortschritt Frederik die Maus, die Kinder von Bullerbü oder Asterix Comics.

Werte und Kultur kennen lernen

Donnerstags würde ich meinen Gast mit in die Folkloretanzgruppe nehmen – falls ihm das Spaß macht. Vielleicht kann er uns ja auch einen neuen Tanz zeigen? Und montags mit in den Chor. Beim Singen lernt man auch gut eine neue Sprache. Wenn meine Großeltern einen Gast hätten, dann würde er mit meinem Opa Fußball im Fernsehen schauen. Wenn mein Bruder einen Gast hätte, würde er ihn abends mit auf Partys nehmen.

Das ist beides bestimmt genauso verbindend wie Singen und Tanzen. Und wir könnten zusammen kochen: Was isst man eigentlich in Syrien? Vielleicht könnte der Gast auch Weihnachten mit mir und meiner Familie feiern. Ob er wohl Käsefondue essen und Siedler von Catan spielen mag? Das wäre doch wirklich ein Fest mit weihnachtlicher Botschaft statt dem alljährlichen Konsum-Rummel.

Kompromisse finden

Bestimmt würden wir uns auch gegenseitig nerven.

Und bestimmt würden wir uns auch gegenseitig nerven. Ich mag es gerne ordentlich. Vielleicht brauchen wir dann wieder einen Putzplan wie zu WG-Zeiten. Oder stört es ihn, wenn ich mein Instrument übe. Dann halte ich die Mittagsruhe ein und tue ihm und allen Nachbarn einen Gefallen. Vielleicht kann der Gast Fahrräder reparieren oder gut nähen– ich nämlich nicht! Dafür kann ich mit Behörden diskutieren und Gitarre spielen – er vielleicht nicht.

Viele Vermieter verbieten es, an Flüchtlinge unterzuvermieten. Ihr Argument: Ausländerfeindlich seien sie nicht, aber Integration sei schwierig und entstehende Sachschäden könnten zu hoch sein. 1) Warum sollte ein Gast Sachschäden verursachen? 2) In welchem Verhältnis stehen Sachschäden gegenüber Menschenleben? 3) Artikel 14, 2: Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

Ich hoffe es gibt genug offene, angstfreie und gastfreundliche Vermieter.

Bereits existierende Initativen:


saraSara Mierzwa (26) hat Friedens- und Konfliktforschung studiert und  absolviert gerade ein Volontariat in Mainz. Sie ist gerne in Kontakt mit Menschen – beim Tanzen, Musizieren, Briefeschreiben und Spazierengehen.

Titelbild: CC0, unsplash; user web agency

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