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Möglichkeiten und Grenzen des bewussten Konsums

Bewusster Konsum liegt im Trend. Nie waren die Deutschen umweltbewusster. Nie haben sich mehr Menschen hierzulande Gedanken über die Folgen ihrer Kaufentscheidungen gemacht.

Die Politik möchte das unterstützen. Erst Anfang des Jahres hat die Bundesregierung ein neues „Nationales Programm für Nachhaltigen Konsum“ verabschiedet. Das richtige Konsumieren soll für den Einzelnen einfacher gemacht werden. Bildungs- und Kommunikationsangebote sollen weitere Menschen für die Idee des bewussten Konsumierens gewinnen. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Problematisch wird es, wenn Menschen den bewussten Konsum für ihren zentralen Beitrag auf dem Weg aus der ökologischen Krise halten. Denn er stellt eine unterkomplexe Antwort auf ein Problem dar, das nur auf struktureller und systematischer Ebene, niemals aber auf individueller Ebene gelöst werden kann. Im Folgenden werde ich zunächst auf zwei zentrale Grenzen des bewussten Konsums eingehen um dann daraus abzuleiten, was er leisten und was er nicht leisten kann.

Bewusst ist nicht gleich ökologisch

Zu Beginn steht die schmerzhafte Tatsache, dass ein ökologisches Bewusstsein nicht in positiver Korrelation zu einem verringerten ökologischen Fußabdruck steht. Erst kürzlich hat dies eine Studie des Umweltbundesamtes wieder eindrucksvoll belegt1. Menschen, die eine ökologisch orientierte Einstellung haben, sind keineswegs nachhaltiger als Menschen, die sich nicht dafür interessieren. Im Gegenteil: Da der individuelle Ressourcenverbrauch stark vom eigenen Einkommen abhängt, haben die eher einkommensstarken Öko-Bewussten im Schnitt gar den größeren ökologischen Fußabdruck. Gerade in den für die individuelle Öko-Bilanz maßgeblichen Bereichen Wohnen und Mobilität fließt das Mehr an Geld oft in mehr zu beheizende Fläche und häufigere Fernreisen. Mit Blick auf die nackten Zahlen leistet der bewusste Konsument also keinen effektiven Beitrag zur Überwindung der ökologischen Krise. Was hindert ihn daran?

Erste Grenze: Diskrepanz zwischen Wirkwelt und Merkwelt

Die erste Grenze des bewussten Konsumenten liegt auf psychologischer Ebene. Für uns alle gilt, dass unser Handeln nicht von Vernunft und Wissen, sondern maßgeblich von Emotionen geleitet wird. Der ökologisch bewusste Konsument entscheidet sich dann gegen ein Produkt, wenn das schlechte Gefühl, dass er mit dem Produkt verbindet, dominiert. So zum Beispiel beim Verzicht auf Fleisch oder Plastiktüten. Trotzdem reicht unser moralisches Empfinden offensichtlich nicht aus, unseren ökologischen Fußabdruck in einigermaßen erträgliche Bahnen zu lenken.

Die negativen Folgen unseres Konsums treten irgendwo in der Welt auf, vielleicht heute, vielleicht in der Zukunft. Über diese Folgen können wir abstrakt Bescheid wissen, in den meisten Fällen reicht das nicht, um handlungsleitende Emotionen auszulösen. Denn die Stärke unseres moralischen Empfindens liegt in unserer Nähe, bei Menschen (und Tieren), die wir sehen oder mit denen wir kommunizieren können. Würden die Flugzeuge mit den Pestiziden nicht über Sojafelder in Brasilien, sondern neben dem Garten fliegen, in dem unsere Kinder spielen, läge der Marktanteil für Bio-Fleisch nicht unter 2 Prozent.

Der Philosoph Vittorio Hösele hat es auf eine passende Formel gebracht: Unsere Wirkwelt hat sich globalisiert, unsere Merkwelt ist lokalisiert geblieben. Wir haben eine faktische Lücke zwischen Wirken und Fühlen. Natürlich können wir darauf hinwirken, durch Umweltbildung, Empathie-Schulungen und Konsumentenaufklärung auf eine Ausbreitung unserer Merkwelt hinzuarbeiten. Das sollten wir auch tun. Wir dürfen uns aber nicht der Illusion hingeben, dass unsere Merkwelt unser globales Wirken umfassend nachvollziehen kann. Vor diesem Hintergrund wird auch klar, wie begrenzt die Wirkung von moralischen Appellen ist.

Zweite Grenze: strukturelle Rahmenbedingungen

Die zweite Grenze des bewussten Konsums liegt auf struktureller Ebene: Die Strukturen, die unser Produzieren und Konsumieren maßgeblich leiten, wirken der Intention eines ökologischen Lebensstils entgegen. Die Intention scheitert an den Strukturen einer auf fossilen Brennstoffen basierenden, hyperglobalisierten Wachstumswirtschaft, die für Produzenten und Konsumenten völlig falsche Anreize setzt. Dazu drei Beispiele. Erstens: Die Preisgestaltung. Werfen wir einen Blick in den Supermarkt. Es braucht nicht lange und man stellt fest: Der Preis zeigt uns das nachhaltigere Produkt nicht. In den meisten Fällen gilt gar: „Gut“ ist teuer, „Schlecht“ ist billig. Selbst in der Saison ist der konventionelle Apfel aus Neuseeland billiger als der Bio-Apfel aus Deutschland.

Das Fleisch aus der Massenzucht ist billiger als das aus ökologischer Erzeugung. Der Preis für Tomaten verschweigt, dass diese außerhalb der Saison aufwendig beheizt werden oder mit LKWs aus der Ferne kommen. Und oft ist das vermeintlich Gute gar nicht gut: Jede siebte in Deutschland verkaufte Bio-Kartoffel kommt aus Ägypten oder Israel, fast jede dritte Bio-Paprika aus Israel. In beiden Ländern ist Wasser absoluter Konfliktstoff, der Transport verschleudert CO2. Der Preis verrät uns das nicht. Fazit: Die komplette Angebotsstruktur im Supermarkt bekämpft das Vorhaben, nachhaltig einzukaufen.

Zweites Beispiel: Die Qualität von Gebrauchsprodukten. Viele große Unternehmen sind Aktiengesellschaften. Sie sind oft auf externe Kapitalgeber angewiesen. Um für diese attraktiv zu bleiben, müssen sie Wachstum und Dividenden versprechen. Das geht vor allem dann, wenn sie mehr Produkte verkaufen. Dementsprechend werden zu erwerbende Produkte immer kurzlebiger und fehleranfälliger. Im Falle der sogenannten geplanten Obsoleszenz bauen Unternehmen ihre Produkte gar absichtlich minderwertig, damit diese früher wieder ersetzt werden müssen. Die Beispiele sind vielfältig und reichen von Metallbearbeitungsmaschinen bis zu Einrichtungsgegenständen. In den westlichen Gesellschaften wächst der Möbelkonsum alle zehn Jahre um 150%4! Wird meine Generation ihre Möbel einmal an ihre Kinder vererben? Ein System, das Unternehmen dazu zwingt, im Sinne des eigenen Umsatzes immer mehr, immer kurzlebigere Produkte (durch immer aufwendigeres Marketing) an den Mann (und die Frau) zu bringen, scheint nicht die beste Voraussetzung für nachhaltige Lebensstile zu sein.

Drittes Beispiel: die Machtfrage. Die Regeln, die wir den Wirtschaftsakteuren vorgeben, werden seit längerem in extremem Ausmaß an deren Interessen ausgerichtet. Robert B. Reich, ehemaliger Arbeitsminister der USA, beschreibt in seinem Buch mehr als eindrücklich, wie Großkonzerne enormen Einfluss auf Gesetze und Vorschriften nehmen.5 Ganz besonders in den Branchen, die durch eine große Marktkonzentration gekennzeichnet sind, z.B. in Pharma- und Pflanzenschutzmittelindustrie oder der Hightech-Branche. In Deutschland ist das kaum anders. Denken wir nur an den Aufwand, den die deutsche Regierung gegen eine Verschärfung der Abgasgrenzwerte für Automobile oder für die weitere Zulassung des Pflanzenschutzmittels Glyphosat betrieben hat. Es ist offensichtlich, dass ein solch ausufernder Einfluss von Unternehmensinteressen (gerade solcher Konzerne, für die eine Nachhaltigkeitswende nicht unbedingt vielversprechend klingt) für eine ökologische Neuausrichtung der Wirtschaft hinderlich ist.

Die Notwendigkeit politischer Einmischung

Die drei Beispiele zeichnen nur Ausschnitte von uns geschaffener Strukturen, die zwangsläufig mannigfaltige Hindernisse zwischen die Intention und die Umsetzung eines nachhaltigen Konsumstils schieben. Wir müssen begreifen, dass es keinen ökologischen Lebensstil gibt, solange diese Strukturen so sind. Nicht für das Öko-bewusste Individuum, und schon gar nicht für uns als Gesellschaft. Natürlich kann man diese Hindernisse ein Stück weit umgehen. Man geht in den Bio-Laden nebenan, beteiligt sich an einer Solidarischen Landwirtschaft oder baut selber etwas an. Mache ich auch, und es fühlt sich gut an. Dabei sind aber zwei Dinge zu bedenken. Zum einen muss man sich immer wieder klarmachen, dass man zu einer verschwindend kleinen Elite gehört, die sich aus einer gehobenen Mittelschicht in den reichen Industrienationen speist (Der Bio-Anteil der Lebensmittelausgaben in Deutschland liegt bei 3,3 Prozent).

National, besonders aber in globaler Perspektive beschäftigt sich der Großteil der Menschen mit anderen Fragen. Zum anderen, und das ist für das hier behandelte Thema entscheidend, dringt man durch das bewusste Konsumieren nicht auf die Ebene vor, auf der die beschriebenen strukturellen Fragen verhandelt werden. Der Kauf einer Bio-Gurke ist eben noch kein ausreichendes Statement zum Machteinfluss großer Konzerne. Durch Eigenproduktion oder Einstieg in eine Solidarische Landwirtschaft kann ich zwar wie einige Gleichgesinnte ein Stück weit aus dem globalen Lebensmittelmarkt aussteigen, allgemeinverbindlich ändern tut sich dadurch nichts. Die Frage, ob diese systemischen Zwänge abgebaut werden oder nicht, wird im politischen Diskurs entschieden. Nur wenn ich mich daran beteilige, mache ich meine Meinung in diesen Fragen geltend.

Eine andere Preisgestaltung wird es nur geben, wenn sich Menschen für eine ambitionierte ökologische Steuerreform stark machen, die Ressourcen und Emissionen zunehmend verteuert und die Besteuerung menschlicher Arbeit entsprechend senkt. So könnte man aus ökologischer Sicht umweltfreundliche Produkte im Wettbewerb mit umweltfeindlicheren Produkten besserstellen. Qualitativ hochwertige Produkte würde es geben, wenn sich Konsumenten durch den Erwerb von Geräten und Maschinen Nutzungsrechte, aber nicht Besitzrechte sichern würden. Die Gebrauchsgegenstände blieben im Besitz des Unternehmens, das diese zurücknehmen muss. Gepaart mit angemessenen Preisen für Ressourcen hätten Unternehmen dann den Anreiz, Produkte langlebig und reparabel zu gestalten. Außerdem sollten durch entsprechende Reformen die von Unternehmen zu erbringenden Garantieleistungen deutlich erweitert werden.

Für diese Regeländerungen muss sich jemand einsetzen. Genau so muss jemand die Frage stellen, ob die wachstumsfokussierte Aktiengesellschaft noch eine zeitgemäße Unternehmensform ist. Der Machtkonzentration in einzelnen Unternehmen wird nur Einhalt geboten, wenn für ein schärferes Kartellrecht gekämpft wird, so dass solche Marktoligopole gar nicht entstehen können. Außerdem braucht es Menschen, die sich für eine Abänderung des Patentrechts stark machen, mit dessen Hilfe sich Großkonzerne wie Monsanto oder Apple lästige Konkurrenten vom Hals schaffen. Wir müssen härtere Regeln für den Zugang von Lobbyisten zu Parlamenten und Ministerien einfordern.

Auf all diese Fragen geben wir keine Antworten, in dem wir bewusst konsumieren. Beim bewussten Konsum steht das gute Produkt im Mittelpunkt. Es bietet mir die vermeintliche Möglichkeit, meinen Beitrag direkt am Supermarktregal zu leisten. Aber mit meiner Produktwahl sage ich noch nicht, in welchem Wirtschaftssystem bzw. in welcher Gesellschaft ich leben will.

Umso problematischer ist es, wenn wir durch unseren Fokus auf das bewusste Konsumieren den Blick für die übergeordneten Strukturen und deren Gestaltung verlieren. Wenn immer mehr Menschen ihren Beitrag im bewussten Konsumieren sehen, dann wird dieser zu einer Art Opium fürs Öko-Volk: Jeder hat das Gefühl etwas zu tun aber nichts verändert sich. Dann wirkt der bewusste Konsum entpolitisierend. Der Gang in den Bio-Supermarkt kann das Eintreten für strukturellen Wandel nicht ersetzen. Die oben beschriebenen Auseinandersetzungen müssen geführt werden. Bewusster Konsum ist noch keine politische Einmischung!

Zweigeteilte individuelle Verantwortung

Wir müssen verstehen, das wir als Individuen nicht nur eine Verantwortung für die eigenen Konsumentscheidungen, sondern auch als Bürger in einem demokratischen Gemeinwesen haben. Wir sind auch mitverantwortlich für die Strukturen, die unser Produzieren und Konsumieren allgemeinverbindlich steuern. Anders gesagt: Es geht nicht nur darum, sich in den bestehenden Strukturen möglichst korrekt zu bewegen, sondern auch darum, für möglichst korrekte Strukturen zu kämpfen. Das kann in Aktivistengruppen, Interessenverbänden, NGOs, Ortschaftsräten, Parlamenten und Parteien geschehen, auf lokaler bis globaler Ebene. Nur mit strukturellen Veränderungen bleibt ein nachhaltiger Konsumstil nicht (unerfüllter) Wunsch einer Bildungselite, sondern wird zum Standard für alle.

Möglichkeiten des bewussten Konsums

Wo liegen dann die Möglichkeiten des bewussten Konsums? Meiner Meinung nach vor allem in zwei Bereichen: Erstens ist das Formen des eigenen Lebensstils wichtig, wenn es darum geht, Alternativen zu suchen, zu entwickeln, auszuprobieren und vorzuleben. Zu zeigen, wie es anders gehen kann. Genau das machen die Menschen in den Bio-Läden, auf den Lastenfahrrädern und in den Stadtgärten. Aufzeigen, wie Mobilität ohne Auto geht. Aufzeigen, wie (solidarische) Landwirtschaft ohne Wachstumszwang geht. Aufzeigen, wie regionale und saisonale Ernährung geht. Und das dies obendrein noch Freude bereitet. Nur wenn wir zeigen, wie das Andere aussehen kann, und dass dieses Andere vielleicht sogar die attraktivere Variante ist, werden wir Menschen für neue Konzepte und Ideen gewinnen.

Dafür brauchen wir all die Kreativität, die sich dank der zunehmenden ökologischen Bewusstheit überall entfaltet. Zweitens bietet der bewusste Konsum einen niederschwelligen Einstieg um mit dem Thema Nachhaltigkeit in Berührung zu kommen. Die Auseinandersetzung mit den Auswirkungen des eigenen Lebensstils ist deutlich anschaulicher und einprägsamer als die Befassung mit ökologischer Steuerreform, Wachstumszwängen und Machtkonzentration. Gerade jungen Menschen, aber auch für alle anderen sollte dieser Einstieg durch entsprechende Bildungs- und Gesprächsangebote offenstehen und ausgeweitet werden. Umweltbildung und Verbraucheraufklärung spielen in diesen Zusammenhang eine zentrale Rolle.

Auf Dauer muss sich ökologisches Bewusstsein aber auch auf struktureller Ebene und somit in politischem Denken und Handeln äußern. Das Nachhaltigkeits-Engagement im Privaten darf nie zum Selbstzweck werden, sondern muss immer das höhere Ziel im Auge haben, dass wir uns als Gesellschaft auf den Weg in die Nachhaltige Moderne machen. Dazu brauchen wir die Menschen in ihrer Rolle als bewusste Konsumenten, aber auch in ihrer Rolle als Bürger, in der sie sich für die entsprechenden Rahmenbedingungen einsetzen, die den Konsum allgemeinverbindlich in eine umweltverträgliche Richtung lenken.

Der Einsatz für den ökologischen Wandel muss im Bioladen und im politischen Diskurs erfolgen. Das bewusste Konsumieren ist eine Suche nach Alternativen, aber noch nicht die Alternative. Es ist die Suche nach neuen Strukturen, aber noch nicht deren Schaffung. Eine Ökologiebewegung, die wirklich etwas ändern will, muss beide Schritte gehen. Geht sie nur den Ersten, ist sie ein elitärer Kreis, der sich zum Zwecke des eigenen Wohlgefühls eine Nische in der breiten Konsumentenmasse schafft.

„Konsumieren wird mit politischer Aktivität verwechselt, jeder Gang in den Biosupermarkt wird zur zivilgesellschaftlichen Partizipation. In Wirklichkeit ist es umgekehrt: Politik und mit ihr das gute Gewissen wird zur konsumierbaren Ware.“  (Quelle)


Gastautor André (24) lebt in Kiel und setzt sich im Rahmen seines Masterstudiums mit den vielschichtigen Beziehungen zwischen Mensch und Umwelt auseinander.

Quellen für diesen Beitrag

Moser, S., Neitzke, H-P., Kleinhückelkotten, S. (2016). Repräsentative Erhebung von Pro-Kopf -Verbräuchen natürlicher Ressourcen in Deutschland (nach Bevölkerungsgruppen)

Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (2015). Die Bio-Branche 2015.

Willer, H., Schaack, D. u.a. (2011). Analyse der Entwicklung des ausländischen Angebots bei Bioprodukten mit Relevanz für den deutschen Biomarkt.

Welzer, H. (2013). Selbst Denken.

Reich, R. B. (2016). Rettet den Kapitalismus! Für alle, nicht für 1%

Behr,D., Bolyos,L. (2008). Schlafende Riesen ? Kritik des kritischen Konsums und Thesen zu Brüchigkeiten in der Wertschöpfungskette.

 

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