"RevolutionŠre-1.Mai-Demonstration" am 1. Mai 2011 in Berlin Kreuzberg

Mein Feind und Helfer

Polizei und linke AktivistInnen sind nicht gerade für ihre innige Freundschaft bekannt. Ist das einfach so oder lässt sich da nicht was machen? Wir haben versucht, beide Seiten miteinander in Dialog zu bringen und scheiterten zunächst erbärmlich. Doch dann trafen wir auf einen Polizisten und eine ehemalige Umweltaktivistin, die heute verheiratet sind.

Der Polizei wird von linker Seite seit jeher vieles vorgeworfen: Dass sie rechte Gruppierungen vorteilhaft behandele und unverhältnismäßig aggressiv vorgehe etwa. Wen also überrascht es, dass Menschen, die dem Nationalstaat kritisch gegenüberstehen, die Polizei als dessen Beschützer eher als Feind denn als Freund begreifen? Kein Wunder also, dass auf Antinazidemonstrationen oft der Sprechchor „Deutsche Polizisten schützen die Faschisten“ zu hören ist.

Sollte die Polizei nicht alle BürgerInnen beschützen?

Tatsächlich kommt es zwischen linken Demonstrierenden und der Polizei in ganz Deutschland immer wieder zu Gewalt. Aber sollte die Polizei nicht alle BürgerInnen beschützen? Dass kein Unterschied gemacht werde, behauptet zumindest der Sprecher der Leipziger Polizei, Andreas Loepki: „Eine inhaltliche Wertung findet ausdrücklich nicht statt und steht der Polizei auch nicht zu“. Auf unsere Frage, ob denn nicht ein vermittelnder Dialog zwischen Polizei und dem Antifa-Lager möglich sei, erwidert er jedoch ablehnend:

„Wer Polizisten weiterhin mit Sätzen wie: ‚Auch wenn du deine Uniform ablegst, so bleibst du immer noch das gleiche Schwein von Mensch und wirst weiterhin Ziel unserer Interventionen sein wann immer wir es wollen‘  begegnet, der versucht, sich im Zuge von Abwertung arrogant zu überhöhen. Damit verweigert sich der Personenkreis von Anfang an einer sachlichen Argumentation auf Augenhöhe – auch deshalb ist eine ‚Aufklärungsarbeit‘ nutzlos.“

 

Tatsächlich wollte der organisierte Bereich der Leipziger Antifa überhaupt nicht auf unseren Vorschlag eines Meinungsaustauschs eingehen. Ende Dezember kam es im Leipziger Stadtteil Connewitz zu Gewalt, als eine rechte Demo durch den als alternativ geltenden Bezirk geleitet wurde. Es kam zu Ausschreitungen, welche einige Medien später als „linken Straßenterror“ beschrieben. Auf der linken Infoseite „indymedia“ ließ sich nachlesen, dass die Polizei „aggressiv und provozierend agierte“.

Rechtshüter kümmern sich um Linke.

Eine Leipzigerin, die Ende Dezember in Connewitz dabei war, konnte uns das bestätigen: „Ich habe sowohl Situationen erlebt, in denen die Polizei sehr eskalierend und provozierend auftrat, als auch DemonstrantInnen, die sehr rücksichtslos und gefährdend handelten“. Ihrer Ansicht nach hat die Polizei zumindest nicht „zur Deeskalation beigetragen“ und sie vermutet hinter der Gewalt einiger DemonstrantInnen „die Provokation der Neonazis“ und „Frust sowie Ohnmacht“ und „vereinzelt leider auch etwas Spaß an der Sache.“

Zudem wird immer wieder der Vorwurf laut, dass die sich selbst als Rechtshüter bezeichnenden Beamten tatsächlich bevorzugt um eine wie auch immer geartete Bedrohung von linker Seite kümmern. Unterdessen stehen begründete Vermutungen im Raum, die zumindest auf vereinzelte Verbindungen zwischen Nazis und der Polizei hindeuten.

Wenige Wochen nach den Krawallen im Süden Leipzigs gelang es einer Gruppe von 200 Rechten, eine ganze Straße im Stadtteil Connewitz zu entglasen, ohne dass der Verfassungsschutz von dieser mutmaßlich bundesweit geplanten Aktion vorab etwas bemerkt haben will. Die NSU-Morde sind trauriger Höhepunkt dieser mutmaßlichen Verwicklungen um den Verfassungsschutz.

Damit stehen wir vor einem großen Problem: Tatsächlich wollen weder Polizei noch „Linksradikale“ miteinander sprechen. Unlösbar? Für uns vielleicht schon. Dass es jedoch Wege gibt, zeigen uns zwei Menschen, die wir getroffen haben, um über dieses schwierige Verhältnis zu sprechen. Ein Polizist und eine Demonstrantin, heute verheiratet. Folgendes haben sie uns erzählt*:

 

transform: In welcher Lebenssituation wart Ihr, als Ihr Euch kennengelernt habt?

Malte: Wir haben uns über einen gemeinsamen Freund kennengelernt. Zu dieser Zeit war ich frischer Single und nicht auf der Suche nach einer neuen Beziehung. Eigentlich wollte ich das Singleleben voll ausleben.

Josephine: Es ist schon 10 Jahre her und ich kann nicht mehr rekapitulieren, wie ich „drauf war“. Ich weiß nur, dass ich frisch von einem Freiwilligenjahr aus Palästina zurückkehrte, mich von meinem langjährigen Freund getrennt hatte und dabei war, meine alten Aktivitäten und Vereinsarbeiten in Deutschland beziehungsweise Berlin wieder aufzunehmen, sowie mir über meine Studieninteressen klarzuwerden und einen bezahlten Job zu finden. Es war eine Zeit zwischen Schulabschluss, einem sehr prägenden Auslandsjahr und der weiteren Zukunftsplanung. Vieles war unklar. Politisch war ich wie vor meinem Auslandsjahr aktiv in der Tierrechtsbewegung und nahm auch an Demonstrationen für Umweltschutz, gegen Rassismus oder Krieg teil.

 

transform: Konntet Ihr Euch damals in den anderen hinein versetzen? Oder wart ihr wegen eurer Lebensrealität schon Gegner?

“Insgesamt gab es aber doch mehr gemeinsame Standpunkte.”

Malte: Vom System wegen schon Gegner? Klingt nach einem Spruch aus den 80er Jahren (lacht). Sicherlich hatten wir verschiedene Ansichten bei einigen – nicht nur politischen – Themen. Insgesamt gab es aber doch mehr gemeinsame Standpunkte. Wahrscheinlich passte es deswegen so gut.

Josephine: Wir hatten von Anfang an einen guten Draht zueinander und unterhielten uns bei unseren ersten Treffen – vorwiegend in den Kneipen Friedrichshains – sehr angeregt über die verschiedensten Themen, ohne dabei in hitzige Diskussionen zu geraten. Wir haben es geschafft, sachlich die verschiedenen Standpunkte auszutauschen, ob zur Polizeiarbeit, zum Gewaltsystem oder ganz anderen politischen Themen. Hilfreich dabei war, dass wir uns in wesentlichen Punkten gar nicht uneins waren und eventuell Meinungsverschiedenheiten ruhig und mit einem gewissen Grundvertrauen einander gegenüber hinterfragen konnten. Insofern konnte ich mich schon damals in die Ansichten von Malte hineinversetzen. Da Du (schaut zu Malte) insgesamt eine relativ besonnene und reflektierte Person bist, fiel es auch nicht besonders schwer. (schmunzelt)

transform: Und heute: Habt ihr euch aneinander angeglichen?

Malte: Wir beide haben uns natürlich verändert. Das bringt zum einen die Zeit und das weitere soziale Umfeld mit sich, zum anderen hat mich Josephine natürlich auch beeinflusst. Zum Beispiel beim bewussteren Konsumieren – bei unserer Ernährung und so weiter. Und ich würde meinen, dass auch ich Einfluss auf Josephine hatte.

Josephine: Durch viele Gespräche und das Zusammenleben haben wir vor allem mehr Erkenntnisse über die Aktivitäten in unseren Berufen und der Freizeit erhalten. Das relativiert viele vorherrschende Bilder im Kopf und hilft, einen größeren Blickwinkel auf bestimmte Dinge zu erhalten. Heute kenne ich die Hintergründe von Maltes beruflichen Tätigkeiten viel besser als vorher und kann sie zumeist besser einordnen. Es gibt natürlich Umstände, die ich nach wie vor kritisiere und die nicht akzeptabel sind. Die sind dann aber „systemischer“ Natur, wie z.B. Racial Profiling, und beziehen sich weniger auf kritische Verhaltensweissen einzelner BeamtInnen oder in bestimmten Einsätzen.

transform: Wie denkt ihr über den anscheinend weit verbreiteten Hass in der sogenannten Antifa-Szene auf Polizisten?

“Hass gegenüber irgendjemanden ist inakzeptabel.”

Malte: Die Antifa-Szene – gibt’s die überhaupt noch? (lacht) Allgemein gilt für mich: Hass gegenüber irgendjemanden ist inakzeptabel. Erst recht, wenn aus Hass physische oder auch psychische Gewalt wird. Die Polizei als Feindbild zu deklarieren ist ohnehin ein schlechtes Motto. Dadurch werden keine Probleme gelöst oder behoben.

Josephine: Differenzierte Kritik an der Polizeiarbeit und an Herrschaftsstrukturen aus der Antifa-Szene heraus kann ich gut verstehen. Ich finde es enorm wichtig, dass diese Kritik laut artikuliert und sich mit Missständen innerhalb staatlicher Strukturen auseinandergesetzt wird. Auch in der Antifa-Szene ist von reflektierten, besonnenen Menschen bis hin zu polemischen GewalttouristInnen alles vertreten. Insofern kann es auch keinen allgemeingültigen Hass gegenüber PolizistInnen geben! Grundsätzlich ist Hass – genauso wie Angst – kein guter Berater. Und bei aktiver physischer Gewalt gegenüber Menschen hört mein Verständnis auf – das gilt natürlich für beide Seiten.

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transform: Hat die Polizei eine Mitschuld? Kann man so etwas überhaupt sagen?

Malte: Eine pauschale Schuldzuschreibung würde ich verneinen. Dennoch gibt es sicherlich Einsatzbeamte, die eher weniger professionell beziehungsweise nicht deeskalierend auf bestimmte Situationen einwirken. Aber auch hier gilt es, nicht nur die Beamten der Einsatzhundertschaften zu betrachten, da die Polizei von den Arbeitsbereichen enorm breit aufgestellt ist.

“Ich finde den Begriff Schuld bei solch komplexen Verhältnissen schwierig.”

Josephine: Ich finde den Begriff Schuld bei solch komplexen Verhältnissen schwierig. Was mich aber immer wieder sehr ärgert, ist die fehlende Kommunikation zwischen den Beteiligten, und da eben auch seitens der Polizei. Es gibt viele Situationen, in denen eine bessere Kommunikation und ein besonneneres Auftreten seitens der Einsatzkräfte Eskalationen verhindern könnten. Das Auftreten ganzer Polizeieinheiten mit ihrer Kluft tut ihr Übriges dazu, eine bestimmte Stimmung zu kreieren, gegen die sich Antifas und andere auflehnen. Unabhängig von der Schuldfrage täte es der Polizei gut, mehr Zeit in die Reflektion und Evaluation ihrer Arbeit zu legen, sich öfter mit unterschiedlichen, kritischen Gruppen auseinanderzusetzen und sich im Umgang und in der Kommunikation mit Menschen fortzubilden. Dafür fehlt in der Regel die Zeit im Dienstalltag. „Der Antifa“ täte es genauso gut, sich sachlicher mit der anderen Seite auseinanderzusetzen. Von Antifas kann ich es mir aber nur wünschen, wohingegen ich es von der Polizei erwarte, da es bei ihr um professionelle Strukturen und bezahlte Jobs geht.

 

transform: Würdet ihr Eure Kinder ermutigen auch zu radikaleren Demos wie Blockaden zu gehen? Oder gar zur Polizei?

Malte: Zu beidem: Nein.

Josephine: Demos für die – aus meiner Sicht – richtige Sache finde ich nach wie vor unterstützenswert, wenn sie im Kern friedlich ablaufen. „Ziviler Ungehorsam“ wie Sitzblockaden halte ich dabei für legitime Mittel, um auf Missstände hinzuweisen. Das würde ich – je nach Alter und Erfahrung – auch meinen Kindern zugestehen, wenn auch nicht aktiv empfehlen. (schmunzelt) Ich glaube, ich würde es von der Demo selbst – also von ihren Inhalten, von der Teilnehmerschaft, von zu erwartenden Ausschreitungen – abhängig machen, wie ich mich gegenüber meinen Kindern dazu äußere.

“Von der Arbeit bei der Polizei würde ich auf jeden Fall abraten.”

Von der Arbeit bei der Polizei würde ich auf jeden Fall abraten, aus verschiedenen Gründen. Zum Glück sieht das der Papa ähnlich und hat genug überzeugende Argumente parat.

 

transform: In welchen Momenten hat Euch das Verhalten anderer Demonstrierender, beziehungsweise von KollegInnen abgeschreckt?

Malte: Mich nervt insbesondere das “über einen Kamm scheren”. Man meint, Dinge differenziert zu sehen, verallgemeinert dann aber doch beziehungsweise bedient sich alter Klischees und Vorurteilen. Das gilt für beide Seiten.

Josephine: Da gab und gibt es so einige Momente, und zwar auf beiden Seiten. Ich verabscheue Steinewerfen auf PolizistInnen genauso wie unnötig hartes polizeiliches Durchgreifen gegenüber Einzelnen, vor allem gegenüber unbewaffneten Demonstrierenden. Besonders ärgerlich finde ich es, wenn einige Demonstrierende ohne konkreten Anlass und ohne Sinn Krawalle anfangen und die Demonstration für ihren Gewalttourismus beziehungsweise ihren blinden Hass missbrauchen. Besoffene Demonstrierende kann ich auch nicht leiden, genauso wenig wie sich aufplusternde PolizistInnen.

 

transform: Danke für das Gespräch!

 

 

* Die Namen wurden von der Redaktion geändert | Text, Interview: Richard und Marius | Titelbild: “Revolutionäre-1.Mai-Demonstration” am 1. Mai 2011 in Berlin Kreuzberg, (CC-BY 2.0) flickr user _dChris | Fotos im Text: “Rigaerstr Fest anti police” Juli 2015,  (CC-BY 2.0) flickr user montecruz foto

 

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