Im Labor der Utopisten

Eine Welt ohne Geld. Man stelle sich das mal vor! Niemand ist mehr reich, keiner arm. Die alten Strukturen müssen abdanken und was winkt, ist die große Vision einer friedlichen Gesellschaft. Wenn Gütern keinen Wert mehr beigemessen wird und einfach alles allen gehört, dann kommen wir jedoch schnell in Bereiche, die unsere Vorstellungskraft sprengen: die Welt der Utopien.

Der Versuch von russischen Kommunisten Anfang des 20. Jahrhunderts, das Geld nach Zerschlagung aller Banken und einer herbeigeführten Inflation endgültig zu verbannen, scheiterte bekanntlich grandios. Und obwohl auch der Realsozialismus vielen den Mut raubte und sich neoliberale Wirtschaftsideen durchsetzen, schöpfen einige junge Aktivisten noch immer Hoffnung. Denn ihr Ansatz ist ein gänzlich anderer als der von Lenin und seinen bärtigen Brüdern: sie wollen die Revolution von unten, statt Machtübernahme und Verordnung von oben. Ihre Ideen sollen so einfach und überzeugend sein, dass sich praktisch alle freiweillig anschließen.

Wie das aussehen kann, wissen sie selbst noch nicht genau und auch das ist letztlich Teil des Konzepts. In großen Symposien laden sie Interessierte dazu ein, zu tüfteln, zu disktuieren und zu machen. Schließlich geben sie zu, dass noch viele Ideen fehlen, viel ausprobiert werden muss. Im Vorfeld zu ihrem nächsten Treffen in Berlin wollten wir von einer der Organisatorinnen etwas genauer wissen, wie wir das Geld loswerden können.

 

In eurer Selbtbeschreibung sagt ihr, dass unsere “aktuelle wirtschaftliche Situation” die Gesellschaft spaltet. Woran zeigt sich das aus Deiner Sicht gerade besonders stark?

Pia: Zunächst wird unsere sozio-ökonomische Situation geprägt von Normen, wie Menschen zu sein haben: schön, gesund, erfolgreich, weiß, bestenfalls männlich und heterosexuell. Alle Menschen, die nicht dieser Norm entsprechen, leiden zum Teil massiv an den Folgen unseres Wirtschaftssystems. Wobei ich damit nicht sagen möchte, dass es den Erfolgreichen gut in ihrer Situation geht. Unser Welt- und Menschenbild macht uns zu konkurrierenden, egoistischen Wesen, die sich verwerten müssen.

 

Auf eurer Konferenz sollen Alternativen dazu diskutierert und weiterentwickelt werden. Welche Menschen wollt ihr damit erreichen?

Pia: Alle Menschen, die sich für das Thema interessieren, möchten wir erreichen. Jede*r ist willkommen und wir versuchen, auf Wünsche und Bedürfnisse so gut wie möglich einzugehen. Die UTOPIKON lebt von der Vielfalt der Teilnehmer*innen. Keinen Platz bieten möchten wir jedoch für eine Art der verkürzten Kapitalismuskritik, die in gern mal antisemitischen Verschwörungstheorien endet. Stattdessen freuen wir uns auf offene Gespräche und einen bereichernden Erfahrungsaustausch.

 

Gibt es Leute, die ihr nicht erreicht, obwohl ihr das gern würdet?

Pia: Mit Sicherheit. Jede Bewegung und jedes Netzwerk hat eine eigene Community und darüber hinaus Menschen zu erreichen und zu begeistern, ist eine große Herausforderung. Wir sind uns beispielsweise bewusst, dass wir vor allem junge, weiße Menschen anziehen, die eher dem Bildungsbürgertum angehören. Wir sind stetig am reflektieren, wie das anders aussehen kann und für konstruktive Kritik sehr offen!

 

Wie sehen aus Deiner Sicht Alternativen für eine zukünftige Wirtschaft aus?

Pia: Aus unserer Perspektive lässt sich nur gemeinsam und kooperativ im Diskurs heraus finden, wie Alternativen aussehen können. Eine sich für uns sehr stimmig anfühlende Idee ist beispielweise die sogenannte Beitragsökonomie oder „Ecommony”, geprägt von der Ökonomin Friederike Habermann. Hier geht’s – kurz und knapp – um: Besitz statt Eigentum. Teile, was Du kannst, beitragen statt tauschen sowie Offenheit und Freiwilligkeit. Unser Motto lautet „Not just talking about utopia, but: living utopia“.  Daher organisieren wir die UTOPIKON auch radikal geldfrei, was für uns auch frei von Tauschlogik bedeutet.

 

Das Ziel beschreibt ihr als geldfrei – glaubt ihr, dass alle Menschen dieses teilen? Was ist mit denen, die Geld mit Sicherheit gleichsetzen?

Pia: Wir sind uns bewusst, dass es in unserer kapitalistischen Wirtschaftsordnung nicht möglich ist, ohne Geld zu agieren. Unser Anspruch ist es nicht, „auszusteigen“, sondern einen gesellschaftlichen und politischen Wandel zu leben, um in ein neues Miteinander einsteigen zu können.

Klar wird Geld oft mit Sicherheit und Unabhängigkeit gleichgesetzt. Aber ist es das wirklich? Das Easterlin-Paradaox zeigt eindrücklich, dass mit steigendem Einkommen Menschen nicht glücklicher werden. Ab einem bestimmten Punkt – dann, wenn ihre Existenz gesichert ist – fällt das Glück sogar wieder und schlägt um in Angst vor Verlusten.

Neben unseren materiellen Grundbedürfnissen haben wir ja auch soziale: Liebe, Anerkennung, Orientierung, Sicherheit, Autonomie und sinnvolles Tun. Oft vergessen wir, dass diese nicht durch Geld und Konsum gedeckt werden können. Wir müssen den Glaubenssatz, nachdem wir getrennt voneinander leben und unabhängig sind, endlich überwinden. Ebenso wie jenen Ideen, in denen Menschen schlicht egoistisch und rational agierend sind. In einer Gesellschaft, die sich komplett anders organisieren würde – eben fern von Konkurrenz, Verwertungs, Tauschlogik – wäre Geld nicht mehr das Mittel, das uns Sicherheit suggerieren würde. Vielmehr würden Empathie, Solidarität und Kooperation eine große Rolle spielen.

 

Einen Tipp bitte: Was kann ich heute tun, um ein Stückchen vom Geld loszukommen?

Pia: Eine einfache Antwort: Vorhandenes sinnvoll nutzen! Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft, in der es alles im Überfluss gibt. Wir sollten aufhören, Nachfrage zu schaffen für ein Angebot, welches im Übermaß bereits existiert. Damit richten wir nur Schaden an. Und das kann nicht nur auf individueller Ebene geschehen, sondern im Grunde ist Reduktion und Zurückgreifen auf Vorhandenes sowie Teilen ein gesamtgesellschaftliches Mittel zur einer sozial-ökologischen Transformation.

Zwei Fragen finde ich in dem Zusammenhang sehr hilfreich. Zum einen die Frage nach Genügsamkeit: Was brauche ich eigentlich wirklich? Und dann die Frage nach dem sinnvollen Tun, den eigenen Talenten und Fähigkeiten. Da kann helfen, sich zu fragen: Was würde ich tun, wenn Geld keine Rolle spielt? Meistens kommen da sehr hilfreiche Antworten bei rum, wenn Du Dir wirklich die Zeit nimmst darüber nachzudenken und vor allem: ehrlich zu Dir zu bist! ;-)

 

transform gehört zu den Medienpartnern der Veranstaltung. Die Utopikon-Konferenz findet zischen 4. und 6. November in der Forum Factory Berlin statt. Erwartet werden etwa 300 Gäste, die einer Vielzahl von Workshops und Keynotes unter anderem mit Friederike Habermann, Niko Paech und Silke Helfrich beiwohnen dürfen. Noch werden Anmeldungen entgegen genommen. Mehr Infos gibt’s auf der offiziellen Webseite.

Titelbild: CC0, Danielle MacInnes (unsplash)

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